Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
der Nacht? Im Garten waren zusätzlich Zweimannzelte aufgebaut, alles in allem konnten hier 80 Pilger übernachten. Ich hatte großes Glück und bekam noch ein Bett im Inneren des Hauses.
Wieder traf ich viele, die mittlerweile zu meinem lieb gewonnenen Pilgeralltag gehörten: Elvira, Martin, Henri, mein Leidensgenosse im Zug, Jacques, Léon, Katrin, Maciej, Elisabeth aus München, das Schweizer Ehepaar Sylvia und Peter, die netten Belgierinnen und natürlich die kleine Ute.
Das Abendessen nahm ich in einer typisch spanischen Taverne gemeinsam mit Ute, Katrin, Maciej sowie zwei für mich neuen Gesichtern unter den Pilgern ein: Peter, einem jungen Dänen, der in seiner Heimat zum Offizier ausgebildet wurde, und Graham, einem englischen Mittdreißiger, der als Banker arbeitete. Der Abend schloss sich nahtlos an einen geselligen Nachmittag an. Solche Stunden wie auch dieser Abend waren ein großer Reiz des Pilgerns. Man lernt so viele verschiedene Menschen kennen, die durch ihre Kultur, ihre Herkunft, ihre Berufe und Ausbildungen, ihr Alter und damit unterschiedlichsten Lebenserfahrungen einen reichen Schatz an Geschichten bieten. Es war so spannend, den vielfältigen Erlebnissen der Einzelnen zuzuhören. Wie hat Paul Tournier es so schön ausgedrückt:» Jedes Leben ist ein Abenteuer.«
25. und 26. Pilgertag, 16.-17. Juni 2006
Molinaseea - Cacabelos - La Faba
Die beiden nächsten Tage war ich im Laufen sehr unvernünftig. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, nicht mehr so lange Strecken zu gehen, legte ich am ersten Tag 25 Kilometer zurück, am zweiten Tag sogar fast 32 Kilometer. Es hatte sich aus vielerlei Gründen so ergeben. Im Ort vor Cacabelos gab es nur eine Art Notunterkunft und nach Cacabelos waren es noch weitere sieben Kilometer bis Villafranca del Bierzo. Am zweiten Tag wollte ich zunächst in Vega de Valcarce übernachten, aber irgendwie gefiel es mir dort nicht und ich beschloss, bis nach La Faba weiterzuwandern. Seltsamerweise hatte ich nach den zwei Tagen so gut wie keine Schmerzen, ich spürte keine Überanstrengung. Leider führte das zu einer Art Übermut in den nächsten Tagen, was ich sehr viel später bereuen sollte.
Auf meinem Weg nach Cacabelos passierte ich Ponferrada, mit über 60.000 Einwohnern die letzte größere Stadt vor Santiago und der Verwaltungssitz des Landkreises El Bierzo, der in El Acebo beginnt. El Bierzo gehört zur Provinz León und ist vor allem wegen seiner kulinarischen Genüsse und der fruchtig-aromatischen Weine bekannt. Ponferradas unverwechselbares Wahrzeichen ist eine mächtige Templerburg, deren Areal rund 8000 Quadratmeter umfasst. Auch die innerhalb der Befestigungsmauern gelegenen alten Gebäude, allen voran die Basilica de la Encina, sind wunderschön anzusehen. Beschwingt war ich in diese Stadt hineingelaufen. Kurz vor Campo war ich Albert begegnet, der mich bis hierher begleitet hatte und mit seiner netten, ruhigen Art ein angenehmer Gesprächspartner war. Gemeinsam tranken wir noch einen café in dieser langsam erwachenden Stadt. Ich wollte unbedingt noch die Basilica besichtigen, die um neun Uhr öffnen sollte, deshalb verabschiedeten wir uns voneinander. Ich vertrieb mir die Zeit des Wartens mit Tagebuch schreiben, Frühstücken und Umherschlendern in der Altstadt. Pünktlich um neun stand ich vor der Kirche, die aber auch nach einer weiteren Viertelstunde noch verschlossen war. Da mir weder Passanten noch die Kellner in den umliegenden Bars diesbezüglich Auskunft geben konnten und die Templerburg erst um zehn Uhr ihre Pforten öffnete, verließ ich Ponferrada ein wenig enttäuscht. Es sollte noch schlimmer kommen.
Ponferrada zog sich unendlich lang, man musste durch geschäftige Neubauviertel, die irgendwann in kleinere Vororte mündeten. Ich lief die ganze Zeit auf Asphaltwegen und permanent rauschten Autos an mir vorbei. Kurz hinter Columbrianos, es war etwas ruhiger geworden, überholte mich ein junger, vielleicht um die 25 Jahre alter Mann, der eine Rose in der Hand hielt. Es war ein schönes Bild, dieser Pilger mit der blutroten Rose. Es hatte etwas Romantisches. Wenig später überholte ich ihn wieder. Er war gerade damit beschäftigt, eine Camino-Nachricht zu deponieren. Das war ganz offensichtlich. An einer Wegmarkierung legte er die Rose sowie einen mit einer Plastikfolie geschützten Brief unübersehbar auf den Stein mit der gelben Muschel. Die Rose leuchtete schon von Weitem. Ich lächelte ihn an und sagte: »Sie wird sich bestimmt
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