Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
wollen. Ich empfand diese Geste als ungeheuer kostbares Geschenk. Ihre ganze Zuneigung lag darin ausgedrückt. Sie war ein ganz besonderes Menschenkind. Steffi und ich wollten für den Rest des Tages zusammenbleiben. Auf Katrin wollte sie doch nicht länger warten, weil sie sie lieber mit Marcello allein lassen wollte. Steffi schwärmte bei einer kleinen Pause mitten in Portomarín von der Herberge in Ligonde. Dort gäbe es nur wenige Schlafplätze, alle waren mit richtigen Federbetten ausgestattet. Jeden Tag würden diese frisch überzogen.
Abendessen und Frühstück seien reichlich und lecker und bei Tisch würde gemeinsam gebetet. Bewirtschaftet würde das Haus von protestantischen Freiwilligen, die aus Spanien und Deutschland kämen. Es finanziere sich nur durch Spenden, es gäbe also keinen festen Betrag, der zu zahlen sei. Steffi hatte mich wirklich neugierig gemacht. Solche Herbergen, individuell und christlich, gefielen mir. Doch bis dahin waren es fast noch 17 Kilometer, verdammt weit. Sollte ich vernünftig sein oder mich meiner Abenteuerlust hingeben? Ich entschied mich für Letzteres, außerdem war es schön, wieder mit Steffi zusammen zu sein. Um mich zu beschwichtigen, redete ich mir ein, dass genug Herbergen auf dem Weg lagen und ich jederzeit den Tag früher beenden konnte. Das war natürlich Augenwi-scherei. Ich handelte immer noch nach dem Motto: Was ich mir vorgenommen habe, das schaffe ich auch. So schnell ändern sich Menschen nicht, mich eingeschlossen. Trotz der Hitze, die sich den Tag über entwickelt hatte und meiner stärker werdenden Schmerzen erreichten wir Ligonde. Ich war kaputt, müde und glücklich angekommen zu sein. Die Wanderung mit Steffi, diesem einzigen Energiebündel, hatte trotz allem großen Spaß gemacht und die Mühen gelohnt. Wir beide hatten uns noch besser kennengelernt.
Bei unserer Ankunft in der Fuente del Camino erlebte ich eine weitere tolle Überraschung. Ich sah Kathrin aus Innsbruck wieder. Es war über drei Wochen her, dass Gu und ich mit ihr in der Herberge in Los Arcos übernachtet hatten. Kathrin und ich stellten fest, dass wir beide an diesem Tag an die jeweils andere hatten denken müssen. Sie wie ich hatten überlegt, wen wir unbedingt noch wiedersehen wollten, bevor wir in Santiago ankommen würden. Hatte die Magie des Camino nachgeholfen?
Steffi hatte nicht zu viel versprochen. Die Herberge war wirklich schön. Auf der Wiese vor dem Haus grasten zwei Pferde, die einem argentinischen Pferdepilger gehörten. Die Sattel lagen zum Trocknen auf dem Gatter, die Pferdedecken waren ausgebreitet. Das alles und der raubeinig wirkende Besitzer machten die Idylle hier perfekt und gaben dem Ganzen noch einen romantischen Anstrich. Wir drei blieben den restlichen Tag zusammen und sprachen über die hinter uns liegenden Wochen. Steffi erzählte sehr viel von ihrer Wanderung durch die Schweiz und Frankreich in den ersten Monaten. Diese Strecken waren im Gegensatz zu den spanischen von Einsamkeit geprägt gewesen, da dort nur wenige Pilger unterwegs sind. Es habe Tage gegeben, an denen sie kaum ein Wort gesprochen habe. Wir waren uns alle einig, dass der Camino eine der Erfahrungen im Leben war, die etwas Besonderes darstellten. Aber für jeden von uns war dieses Besondere etwas Anderes, schließlich waren wir so unterschiedlich wie das, was wir erlebt hatten. Doch wir spürten gemeinsam das, was ein Zitat von einem Unbekannten sehr zutreffend ausdrückt: »In Santiago wird in deinem Inneren eine Glocke angeschlagen, die künftig deinen Lebensweg begleitet. Und wenn sie einmal ganz verklingt, dann wird es Zeit für dich, erneut nach Santiago aufzubrechen.«
In dieser Nacht schliefen wir selig in unseren Federbetten ein. Ich war doch ein Glückspilz, denn mein Schlafsack war nicht ganz trocken geworden, alles hatte sich auf wunderbare Weise gefügt.
Wir drei Frauen hatten uns mit dem Versprechen voneinander verabschiedet, uns in Santiago auf jeden Fall wiederzusehen. Einige wenige Tage und 80 Kilometer waren es nur noch bis dorthin. Deshalb waren die Chancen für ein Aufeinandertreffen sehr gut.
Zuckerbrot und Peitsche, so erlebte ich auch den nächsten Tag. Nach fünfzehn quälenden Kilometern beendete ich schon gegen 12 Uhr in Pontecampaña meine Tagesetappe. Die Blase am Fuß scheuerte und nässte, unter meinem Zehennagel pochte es wie verrückt, mein rechtes Bein war wieder angeschwollen, die linke Hüfte schmerzte in der Gelenkpfanne. Ich hatte die Schnauze
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