Karrieresprung
Kassettendecken über hohen widerhallenden Fluren und weiter in den Anbau. Hastig erklärte er Rosenboom nochmals seinen letzten Schriftsatz, prognostizierte, dass das Gericht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ohne Beweisaufnahme den Rechtsstreit entscheiden könne, weil geklärt werden müsse, ob die Kellerfeuchtigkeit, wie von Rosenboom behauptet, sich tatsächlich erst nach dem seinerzeitigen Erwerb des Hauses gebildet haben könnte. Dann nämlich sei es um so nachvollziehbarer, dass Rosenboom diesem Kellerraum selbst keine besondere Beachtung geschenkt und jedenfalls von einem arglistigen Verschweigen keine Rede sein könne.
Tassilo Rosenboom lief schweigend neben ihm her und nickte, wenn Knobel kurz einhielt und mit fragendem Blick prüfte, ob Rosenboom das prozessuale Vorgehen verstanden hatte.
Knobel resümierte, dass das Gericht der Klage der Gegenseite jedenfalls nicht ohne weiteres stattgeben könne, weil es die vom Kläger behauptete Arglist Rosenbooms nicht ohne weitere Prüfung als wahr unterstellen dürfe.
Rosenboom bestätigte, dass er verstanden habe, was das Gericht alles nicht ohne weiteres tun dürfe, während Knobel eine Glastür zum nächsten Flur aufstieß und seine Ausführungen mit dem Bemerken schloss, dass man abwarten müsse, was das Gericht meine.
Knobel ließ bei der Prognose über den Ausgang von Prozessen Vorsicht walten. Die Vorfreude des Mandanten auf einen für sicher gehaltenen Sieg schlug in herbe vorwurfsvolle Enttäuschung um, wenn sich das prophezeite Ergebnis nicht einstellen wollte. Knobels Vorhersagen blieben vage, und er versetzte sie mit weiteren Unwägbarkeiten, an die der gerechtigkeitsgläubige Mandant noch gar nicht gedacht hatte. Knobel sprach von der Misslichkeit wechselnder Kammerbesetzungen, der mangelnden Aktenkunde des Gerichts, der den Vorsitzenden belastenden eigenen Scheidung und der verdrießlich stimmenden Arbeitsüberlastung des Gerichts, die zur Oberflächlichkeit verleite. Der Mandant, der eben noch hoffte, dass sein Fall als der mutmaßlich wichtigste des ganzen Sitzungstages in allen Einzelheiten gewürdigt, in seiner Historie aufgearbeitet und keine vom Gegner beigebrachte Schmach ungesühnt bleiben werde, argwöhnte nun, einer unberechenbaren Macht ausgeliefert zu sein und klammerte sich noch fester an seinen Anwalt. Knobel hatte sich, Löffkes Beispiel folgend, angewöhnt, den Mandanten vor Sitzungsbeginn durch dieses Fegefeuer zu schicken. Der verlorene Prozess traf dann nicht mehr unvorbereitet, und der gewonnene Prozess ließ die eigene Leistung umso leuchtender hervortreten.
Doch bei Rosenboom war diese Prozedur verfehlt. Rosenboom duldete keine Phrasen, er forderte mit unaufdringlicher Autorität eine verständige Würdigung der Erfolgschancen. Mehr als beim ersten Rosenboom-Prozess, als Knobel aus dem Schatten hervorgetreten und trotz aller Nervosität den Sieg fast spielend eingefahren und seinem eigenen Aufstieg den Weg geebnet hatte, fühlte er nun die Last seiner persönlichen Verpflichtung, das Verdienst der ihm gewährten Privilegien stets erneut zu rechtfertigen. Zunehmend begann ihn die Verantwortung für die Fülle der umsatzträchtigen Rosenboom-Firmenmandate zu drücken, schließlich hing deren Fortführung durch die Kanzlei Dr. Hübenthal ganz wesentlich von der Qualität seiner Arbeit in den persönlichen Rosenboom-Fällen ab.
Franz Weinstein war nicht zum Prozess erschienen. Ein smarter Anwalt um die fünfzig vertrat ihn. Vorn saßen dieselben Richter wie beim ersten Prozess.
Der Vorsitzende fragte höflich, ob beide Anwälte überhaupt noch zur Sache verhandeln wollten.
Knobel wurde unruhig. Die Frage legte nahe, dass das Gericht das Verhandeln für überflüssig hielt. Sie ließ unheilvoll erahnen, dass eine Partei in der bisherigen Prozessführung etwas so grundlegend falsch gemacht hatte, dass es für diese Partei geboten schien, sich ohne Verhandlung zur Sache der Gegenseite zu unterwerfen. Knobel suchte in der Mimik des Vorsitzenden vergeblich nach beratender Hilfe, doch dessen Gesicht blieb ausdruckslos.
Der Klägeranwalt bejahte die Frage des Vorsitzenden.
Knobel schloss sich unsicher an.
Der Vorsitzende gab die Anträge zu Protokoll und lehnte sich zurück.
Knobels Blick wechselte auf den linken Beisitzenden und erwartete dessen referierende Einführung in den Sach-und Streitstand. Doch der Beisitzer schwieg.
»Der Klägeranwalt hat mir gestern telefonisch mitgeteilt, dass sich die Parteien heute einigen
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