Karrieresprung
weitere Rolle. Er würde Zeuge sein im Prozess gegen Rosenboom. Aber er würde als sein Anwalt die Aussage verweigern dürfen. Würde er sich mit dem Bekenntnis zu seiner Vermittlerrolle nicht dem Vorwurf einer Mitschuld an Weinsteins Tod aussetzen? In seinem Kopf schossen zahllose juristische Szenarien vorbei. Doch zu seinem Erstaunen begann seine Vernunft die vorbeifliehenden Szenarien mit der routinierten Ratio seiner juristischen Erfahrung rekapitulierend zu bändigen und einer nüchternen Güterabwägung zu unterziehen.
»Wie wird es weitergehen?«, fragte Rosenboom mit flehendem Unterton.
Knobel schlüpfte in die Rolle des Staatsanwalts.
»Sie haben ihn einfach niedergestreckt«, hielt er Rosenboom vor.
Der Angeklagte schwieg betreten.
Knobel wartete auf ein Wort des Bedauerns. Das Bedauern wäre ein Zeichen der Normalität gewesen. Die Ausnahmesituation belastete Ankläger und Angeklagten.
»Er hätte heute Geld gewollt. Und er hätte morgen Geld gewollt. Es wäre immer so weiter gegangen.«
»Nichts rechtfertigt das Töten«, bellte Knobel.
Doch seine Feststellung blieb eine leere Moralfloskel, hatte sie doch nicht vor dem Töten bewahrt und ihn in seinem Werturteil hilflos zurückgelassen. Was auch änderte der Satz? Wie einfach hatte es da der staatlich bestallte Ankläger. Für ihn verbot sich Parteivertretung selbst für das Opfer, war lediglich Subsumtion einschlägiger Strafvorschriften angesagt, die es zum Schluss aus der beschützten Sicht des staatlich Neutralen als Strafforderungsextrakt zu verlesen galt, bevor der für die Gerechtigkeit zuständige Richter die überhöht angelegte Latte des am höchstmöglichen Strafmaß orientierten Anklägers wieder auf Augenhöhe der Justitia zurückversetzen konnte.
Rosenbooms Einwand appellierte an den nachsichtigen Richter. Der Angeklagte bemühte sich um gute Wirkung, warb um Verständnis für die Notlage, die zur Tat führte. Eine außergewöhnliche Motivlage, die den Ausnahmefall im unbescholtenen Leben des Herrn Rosenboom begründete. Rosenboom war kein Täter, der das Kriminelle wollte.
Knobel sah den ehrfurchtsvollen ängstlichen Blick Rosenbooms auf den grantelnden Staatsanwalt, den hoffnungsvollen Blick auf die Richter, das zaghafte Lächeln zu den Schöffen. Der verzweifelte Versuch, aus der Rolle des Objekts hinauszuwachsen, über das verhandelt wird, hin zum Subjekt, das sich einbringt und gegensteuert.
»Sie werden mir helfen, ja?«
Rosenbooms Bitte enthielt sich jeder Anweisung, war flehend und demütig und dennoch nicht nur die Bitte um anwaltlichen Beistand. Sie lief auf Hilfeleistung hinaus, die vor einem Prozess bewahren sollte, bedeutete Verdunkelung der Tat durch Knobel. Er sollte selbst Partei, in gewisser Weise selbst Mittäter werden. Knobel fror. Das Gespräch mit Weinstein strömte durch seinen Kopf. Im Zeitraffer spulte sein Gehirn alles ab, was Weinstein gesagt hatte. Knobel hatte mit Weinstein den Spieler beraten und ihn unwissentlich geopfert. Nun wollte der Gegenspieler beraten werden.
Der Gegenspieler spielte gegen den Verlust. Verlust von Frau und wirtschaftlicher Existenz. Aber es klang leidenschaftslos. Wo war der glühende Eifer, aus dem heraus er zur Rettung vor der drohenden Gefahr Weinstein getötet hatte? Eine leidenschaftliche Liebe Rosenbooms zu seiner Frau hätte auch das Verbrechen leidenschaftlich gemacht. Der Satz »Nichts rechtfertigt das Töten« wäre außer Kraft gesetzt, weil sein rationaler Sinngehalt vor der Leidenschaft kapituliert hätte. Der Tod Weinsteins hätte sich relativiert.
Natürlich ging es um das Geschäft. Knobel erwähnte mit keinem Wort, dass Weinstein Rosenboom vielleicht sogar in erster Linie damit erpresste, dass Rosenboom und Hübenthal an imaginären Mandaten mitverdienten. Lag hier nicht das gewichtigere Druckmittel Weinsteins? War die Erpressung Rosenbooms der Sache nach damit nicht längst zur Erpressung der Kanzlei geworden?
Rosenbooms Bitte ließ ihm keine Entscheidungsalternative. Knobel stand es auch nicht zu, anzuklagen oder zu richten. Aber er konnte und wollte auch nicht Partei ergreifen. Knobels Rolle sollte sein, an der Seite Rosenbooms zu stehen, mit ihm Partei zu sein.
Er beantwortete Rosenbooms Frage mit einem Schulterzucken. Er werde sich melden.
41
Müde und fröstelnd fuhr Knobel heim. Die Heizung im Auto half nicht, und die Nachtmusik im Radio half auch nicht.
Lisa schlief schon, als er nach Hause kam. Sie atmete leicht und gleichmäßig.
Er legte
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