Kartiks Schicksal
Geheimbünde und die Frau in meinen Visionen, war eine Schülerin in Spence und eine von ihren Schwestern hat sie verraten.
Kaum ist Mademoiselle LeFarge in der Droschke eingenickt, unterhalten wir uns leise.
»Wilhelmina Wyatt! Nicht auszudenken, dass wir ihr Buch – und dessen gefährliche Geheimnisse – in unserem Besitz haben«, flüstert Ann.
»Aber wir haben das Buch doch gelesen«, sage ich. »Was könnten wir übersehen haben? Es findet sich nichts Gefährliches darin.«
»Außer der Gefahr, darüber einzuschlafen.« Felicity gähnt.
»Wir haben einige Dinge über den Orden erfahren«, verteidigt sich Ann. »Ohne das Buch, Gemma, hättest du nie die wahre Identität von Circe aufgedeckt«, erinnert sie uns und sie hat recht. Denn so haben wir herausgefunden, dass die Mitglieder des Ordens ihre Identität oft hinter Anagrammen verbargen und dass Hester Asa Moore ein Anagramm von Sarah Rees-Toome war.
Felicity trommelt mit den Fingern auf ihrem Sitz. »Ich habe mich immer gefragt, welchen Grund Miss McChennmine wohl gehabt hat, das Buch zu kaufen. Wenn sie ein Mitglied des Ordens ist, warum braucht sie dann ein Buch über den Orden?«
Zu Weihnachten waren wir Miss McChennmine in die Buchhandlung Die goldene Dämmerung gefolgt. Sie kaufte das Buch, also haben wir auch ein Exemplar erworben, aber bis jetzt habe ich es nur für eine Marotte von ihr gehalten.
»Ich habe Miss McChennmines Gesicht kurz in einer Vision gesehen«, erinnere ich sie. »Sie könnte die Schwester sein, von der Dr. Van Ripple gesprochen hat.«
»Ja, obwohl du schließlich nur ihr Gesicht gesehen hast«, fügt Felicity hinzu. »Du hast sie nicht zusammen gesehen.«
Draußen vor unseren Fenstern kratzen die noch kahlen Zweige an der Droschkenwand. Die Nacht hat Krallen, aber wir entkommen ihnen, holpernd und rüttelnd, bis Spence vor uns auftaucht. Die Lampen brennen noch und lassen das lang gestreckte Gebäude hell in der finsteren Nacht erstrahlen. Nur der Ostflügel ist dunkel. Die Wolken ziehen, der Mond zeigt sein Gesicht. Auf dem Dach hocken die feixenden Wasserspeier, deren weit geschwungene Flügel sich als bedrohliche Schatten vor dem Licht des Mondes abzeichnen. Die steinernen Biester scheinen jeden Moment losfliegen zu wollen. Und für eine Sekunde blitzt in mir die Erinnerung an die furchtbare Halluzination in der Kutsche auf – das aufgerissene Maul des Ungeheuers, der Schimmer spitzer Zähne, die sich senken, der dünne Blutfaden – und ich muss wegschauen.
»Trotzdem, ich behaupte immer noch, wenn es irgendein großes Geheimnis in dem Buch gäbe, dann hätten wir es inzwischen entdeckt«, beharre ich.
Ann schaut zum weiten Sternenhimmel hinauf. »Vielleicht haben wir nicht gewusst, wonach wir suchen müssen.«
*
Eine Stunde später sind wir in Felicitys Zimmer versammelt. Über unser Exemplar der Geschichte der Geheimbünde gebeugt, versuchen wir, im schwachen Kerzenlicht zu lesen.
»Seht nach, ob an irgendeiner Stelle der Baum Aller Seelen erwähnt ist«, sage ich. »Vielleicht haben wir es die ersten Male überlesen, weil es für uns damals keine Bedeutung hatte.«
Wir lesen Seite um Seite, mühsam, zu dritt über das Buch gebeugt, bis die Buchstaben vor unseren Augen verschwimmen. Wir lesen abwechselnd laut. Da sind Artikel über die Druiden, die Gnostiker, über Hexerei und Heidentum, dazwischen einige Illustrationen, die nichts Erhellendes beitragen. Wir lesen wieder über den Orden und die Rakschana und stoßen auf nichts Neues, das von Interesse wäre. Weit und breit kein Wort über den Baum Aller Seelen.
Wir blättern die Seite um und da ist eine Illustration von einem Turm. Ich lese weiter. »›Der Grabhügel von Glastonbury. Stonehenge. Das keltische Heiligtum auf der Hebriden-Insel Iona. Die großen Pyramiden und die große Sphinx von Giseh. Sie alle sollen von Magie erfüllt sein, die aus der Stellung der Erde zu den Gestirnen abgeleitet wurde‹«, lese ich gähnend. »›Bei verschiedenen Geschichtsschreibern finden sich Hinweise auf heilige Orte der Erde; dazu gehören Kirchen, Friedhöfe, Steinkreise, Bäume und Burgen, um nur einige zu nennen. Denn die großen Priesterinnen, die ehrwürdigen Druiden, die heidnischen Gelehrten glaubten, dass hier die Geister wandelten …‹«
»Gemma, mehr ist da nicht«, murrt Felicity. Sie lässt ihren Kopf und die Arme über den Rand ihres Bettes hängen wie ein gelangweiltes Kind. »Können wir bitte ins Magische Reich gehen? Pippa wartet.«
»Das
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