Kartiks Schicksal
könnte, wenn ich im Mittelpunkt von Stonehenge stehe, so mächtig werden wie König Artus?«, fragt Cecily grinsend.
»Nein, ich glaube eher, dass diese Kraft nicht wahllos an jeden abgegeben wurde, sondern dass sie sorgfältig kontrolliert wurde, und zwar von denjenigen, die am besten dafür geeignet waren«, sagt Miss McChennmine entschieden. »Denn wenn in Märchen oder Sagen von Zauberei die Rede ist, lesen wir jedes Mal, dass diese Kunst strengen Gesetzen unterworfen ist, weil sonst alles ins Chaos stürzt. Schauen Sie dort. Was sehen Sie?« Miss McChennmine winkt mit der Hand zum grünen Horizont.
»Hügel«, stellt Ann fest. »Straßen.«
»Blumen und Gebüsch«, fügt Cecily hinzu. Sie schaut zu Miss McChennmine, als erwarte sie ein Lob für die richtige Antwort.
»Was wir sehen können, ist ein Beweis. Ein Beweis dafür, dass der Mensch imstande ist, die Natur zu besiegen, dass das Chaos gebändigt werden kann. Es zeigt, wie wichtig Ordnung und Gesetz sind. Und wenn wir Chaos in uns selbst erblicken, müssen wir es mit den Wurzeln ausreißen und durch eiserne Disziplin ersetzen.«
Können wir das Chaos wirklich so leicht besiegen? Wenn es so wäre, dann müsste es mir gelingen, in meiner eigenen Seele Ordnung zu schaffen, sie blitzsauber aufzuräumen, statt in diesem Labyrinth von Wünschen, Bedürfnissen und Ängsten umherzuirren, das mir immer das Gefühl gibt, nicht in diese Welt zu passen.
»Aber sind viele Gärten nicht deshalb so schön, weil sie naturbelassen sind?«, sage ich. »Sind die seltsamen, neuen Blumen, die einem Irrtum oder einem Missgeschick erwachsen, nicht genauso schön wie die sorgfältig gepflanzten?«
Elizabeth verzieht den Mund. »Sprechen wir von Kunst?«
Miss McChennmine lächelt breit. »Ah, ein nahtloser Übergang zu unserem aktuellen Thema. Betrachten Sie die Kunstwerke der großen Meister und Sie werden sehen, dass sie nach strengen Gesetzen geschaffen wurden. Hier haben wir ein ausgeklügeltes System von Linien, Licht und Farbe.« Sie sieht mich an, als hätte sie mich schachmatt gesetzt.
»Was ist dann mit den Impressionisten in Paris? Ihre Bilder scheinen weniger geordnet als mit dem Pinsel gefühlt zu sein«, sagt Felicity und stopft sich ein weiteres Stück Kuchen in den Mund.
»Es gibt wohl immer Rebellen und Radikale«, räumt Miss McChennmine ein. »Solche, die am Rand der Gesellschaft leben. Aber was tragen sie zum Wohl der Gemeinschaft bei? Sie sind Nutznießer der Gesellschaft, ohne sich an den Kosten zu beteiligen. Nein. Ich behaupte, dass die loyalen, fleißigen Bürger, die ihre eigenen selbstsüchtigen Wünsche im Interesse der Allgemeinheit hintansetzen, das Rückgrat der Zivilisation bilden. Was wäre, wenn wir alle beschließen, wegzulaufen und frei und ungebunden zu leben, ohne uns um die Regeln der Gesellschaft zu kümmern? Unsere Zivilisation würde zusammenbrechen. Es schenkt Freude, seine Pflicht zu erfüllen, und Sicherheit, seinen Platz zu kennen. Das ist der englische Weg. Es ist der einzige Weg.«
»Genauso ist es, Miss McChennmine«, sagt Cecily. Typisch. Aber was habe ich anderes von ihr erwartet?
Ich weiß, dass die Diskussion damit beendet ist, doch ich kann es nicht hinnehmen. »Aber ohne die Rebellen und Radikalen würde sich nichts ändern, nichts infrage gestellt werden. Es gäbe keinen Fortschritt.«
Miss McChennmine schüttelt nachdenklich den Kopf. »Wahrer Fortschritt kann nur stattfinden, wenn zuerst Sicherheit besteht.«
»Was, wenn Sicherheit … nur eine Illusion ist?«, denke ich laut.
»Dann stürzen wir.« Miss McChennmine zerkrümelt den letzten Rest von ihrem Kuchen. »Ins Chaos.«
Ich nehme einen kleinen Bissen von meinem Stück Kuchen. »Und wenn das nur der Beginn von etwas Neuem ist? Wenn es eine Befreiung ist?«
»Würden Sie diese Chance ergreifen, Miss Doyle?« Miss McChennmine hält meinen Blick fest, bis ich wegschauen muss.
»Wovon reden wir eigentlich?«, gluckst Elizabeth.
»Miss McChennmine, der Boden ist so hart. Könnten wir jetzt nicht nach Spence zurückgehen?«, beklagt sich Martha.
»Ja, meinetwegen. Miss Worthington, ich übergebe Ihnen die Führung. Mädchen, folgen Sie Miss Worthington.« Miss McChennmine schüttelt die Krümel ihres Kuchens in eine Serviette und rollt diese ordentlich zusammen. »Ordnung. Das ist der Schlüssel. Miss Doyle, würden Sie mir bitte helfen, unsere Sachen einzusammeln.«
Felicity und ich wechseln Blicke. Felicity zieht ihre Hand wie eine Messerklinge quer
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