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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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habe das Gefühl, Ihnen vertrauen zu können. Sie haben Ihr gerüttelt Maß an Leid erfahren. Es lässt uns reifen, formt unseren Charakter.« Sie schenkt mir ein sparsames Lächeln.
    »Und vertrauen Sie auch Miss McChennmine?« Ich umklammere meine Teetasse und vermeide es, Mrs Nightwing anzusehen.
    »Was für eine Frage. Selbstverständlich vertraue ich ihr«, antwortet sie.
    »So wie einer Schwester, würden Sie sagen?«, dränge ich.
    »So wie einer Freundin und Kollegin«, antwortet Mrs Nightwing.
    Trotz des Tees ist meine Kehle staubtrocken. »Und was ist mit Wilhelmina Wyatt? Haben Sie ihr vertraut?«
    Diesmal wage ich es, einen Blick auf meine Direktorin zu werfen. Ihre Lippen sind zu einem schmalen Strich zusammengepresst. »Wo haben Sie diesen Namen gehört?«
    »Wilhelmina Wyatt war eine Schülerin in Spence, stimmt’s? Mrs Spence’ Nichte?«
    »Stimmt«, sagt Mrs Nightwing zugeknöpft. Es wird nicht leicht werden, etwas aus ihr herauszubekommen.
    »Warum schaut sie nie vorbei?«, frage ich scheinbar ahnungslos. »Als eine der stolzen Töchter der Spence-Akademie?«
    »Bedauerlicherweise war sie keine ihrer stolzen Töchter, sondern eine ihrer Enttäuschungen«, sagt meine Direktorin mit einem Seufzer. »Sie versuchte uns davon abzuhalten, den Ostflügel wiederaufzubauen.«
    »Aber warum hätte sie das tun sollen?«
    Mrs Nightwing faltet ihre Serviette ordentlich zusammen und legt sie auf das Tablett. »Das weiß ich nicht. Schließlich hatten wir die Restaurierung zunächst auf ihr Anraten in Angriff genommen.«
    »Auf Miss Wyatts Anraten?«, sage ich verwirrt.
    »Ja.« Mrs Nightwing nimmt einen Schluck Tee. »Und sie hat etwas genommen, das mir gehörte.«
    »Das Ihnen gehörte? Was war das?«
    »Ein Andenken, das mir zur Aufbewahrung anvertraut war. Ein wertvolles Stück. Noch etwas Tee?« Mrs Nightwing hebt die Teekanne.
    »War es ein Dolch?«, frage ich rundheraus.
    Meine Direktorin wird blass. »Miss Doyle, ich bin gekommen, um Ihnen Tee zu bringen, nicht um verhört zu werden. Möchten Sie noch Tee oder nicht?«
    »Nein danke«, sage ich und stelle meine Tasse auf das Tablett.
    »Nun gut«, sagt sie und sammelt alles ein. »Ruhen Sie sich aus. Ich bin sicher, morgen werden Sie wieder taufrisch und munter sein, Miss Doyle.«
    Und damit trägt Mrs Nightwing das Tablett hinaus und lässt mich mit mehr Fragen als Antworten zurück, wie immer.
    *
    Ich bin zu ruhelos, um zu schlafen. Ich fürchte mich vor meinen Träumen und habe tödliche Angst vor einer neuerlichen Vision. Und da ich außer dem Toast nichts gegessen habe, bin ich am Verhungern. Ich könnte die Bettwäsche essen.
    Mit einer Kerze schleiche ich auf Zehenspitzen durch die kalten, stockdunklen Korridore von Spence hinunter in die Küche. Brigids merkwürdige Sammlung von Fetischen ist immer noch da. Die Ebereschenblätter an den Fenstern, das Kreuz an der Wand. Ich hoffe, sie hat nicht alles Essen den Wichtein überlassen. Ich stöbere in der Speisekammer und entdecke einen Apfel, der nur leicht angeschlagen ist. Ich schlinge ihn in riesigen Bissen hinunter. Gerade habe ich ein Stück Käse in Angriff genommen, als ich Schritte höre. Ich lösche meine Kerze und taste mich den Flur entlang. Schwaches Licht fällt durch den Spalt unter der Tür zum großen Empfangsraum.
    Jemand kommt die Stufen herunter. Ich husche in den Schatten unter der Treppe und frage mich, im Dunkeln zitternd, wer sich um diese Stunde hier herumtreibt. Miss McChennmine schreitet in ihrem Morgenmantel die Treppe herab, eine Kerze in Händen. Ihr Haar fällt lose auf ihre Schultern. Ich drücke mich flach gegen die Wand und wage kaum zu atmen.
    Sie schlüpft in den Raum und lässt die Tür einen Spaltbreit offen.
    »Hab mich selbst eingelassen.« Eine Männerstimme.
    »Das sehe ich«, antwortet Miss McChennmine.
    »Ist sie im Bett, mit süßen Träumen von Zuckerwürfeln?«
    »Ja.«
    »Sind Sie sicher?«, fragt der Mann mit einem rauen Lachen. »Sie hat mir gestern Nacht unten an der Themse ’nen kleinen Besuch abgestattet. Sie und Bruder Kartik.«
    Fowlson!
    »Sie hat Sie angelogen, Sahirah. Sie hat die Magie, klarer Fall. Ich hab sie am eigenen Leib gespürt.« Fowlson steht auf; ich kann seinen Schatten an der Wand sehen.
    »Glauben Sie, ich weiß nicht, dass sie sie hat?«, antwortet Miss McChennmine mit schneidender Stimme. »Wir werden sie von ihr bekommen. Nur Geduld.«
    »Sie ist gefährlich, Sahirah. Tollkühn. Sie wird uns vernichten«, beharrt

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