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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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ihr.
    »Zuerst muss ich etwas wissen. Das letzte Mal, als ich Sie gesehen habe, haben Sie sich auf den Weg in die Winterwelt gemacht. Sagen Sie mir, haben Sie den Baum Aller Seelen gefunden?«
    »Ja.«
    »Und war seine Magie so stark wie die des Tempels?«
    »Ja«, sage ich. »Seine Magie ist anders. Außergewöhnlich.«
    »Was hat er Ihnen gezeigt?«, fragt sie und ein kleiner Seufzer hallt in der Höhle wider.
    »Eugenia Spence. Sie ist nicht gestorben. Sie lebt«, antworte ich.
    Circe ist so ruhig, dass ich denke, sie ist gestorben.
    »Was wollte sie?«
    »Sie will, dass ich etwas für sie finde. Einen Dolch.«
    Nach einer kurzen Pause fragt sie: »Und haben Sie ihn gefunden?«
    »Sie haben mir genug Fragen gestellt. Ich will, dass Sie jetzt meine Frage beantworten«, sage ich ungeduldig.
    »Es wird Sie mehr Magie kosten«, murmelt sie.
    »Ja, ich werde den Preis bezahlen. Was wollen Sie eigentlich damit anfangen?«, füge ich hinzu. »Was nützt Ihnen die Magie, da Sie den Brunnen nicht verlassen können?«
    Ihre Stimme dringt aus dem Wasser herauf. »Was kümmert Sie’s? Das hier ist eine Schachpartie, Gemma. Wollen Sie gewinnen oder nicht?«
    »Ich will.«
    »Dann hören Sie mir gut zu …«
    Ich sitze stundenlang neben Circe und höre ihr zu, bis ich verstehe, bis ich aufhöre, mich vor meiner Zauberkraft zu fürchten, bis sich tief in meinem Innern etwas löst. Und als ich den Tempel verlasse, habe ich keine Angst mehr vor der Magie, die in mir lebt. Ich verehre sie. Ich werde die Grenzen meiner selbst schließen und diese gnadenlos verteidigen.
    Ich gehe durch die Weidenbäume und höre hinter mir Amars Pferd in scharfem Galopp näher kommen. Ich laufe nicht. Ich bleibe stehen, drehe mich um und sehe ihm entgegen. Er reitet nahe heran; der eisige Atem seines Pferdes kühlt mein Gesicht.
    »Ich fürchte mich nicht«, sage ich.
    »Die Geburt des Mai, sterbliches Menschenkind. Davor solltest du dich fürchten«, antwortet er, gibt seinem Pferd die Sporen und reitet in einer Staubwolke davon.
    Raben lassen sich auf den Weiden nieder. Ich schreite an ihnen vorbei wie eine Königin an ihren Untertanen und sie schlagen mit ihren dunklen Flügeln und krächzen. Ihr Geschrei schwillt an und schüttelt die Bäume wie die Schreie der Verdammten.

4. A KT M ITTERNACHT
    Mein Daumen sagt’s mir, der mich juckt,
    dass Böses just zum Sprung sich duckt.
    William Shakespeare, »Macbeth«

40. Kapitel
    Im Mai wird die jährliche Ausstellung in der Königlichen Kunstakademie ihre Pforten öffnen und damit den traditionellen Beginn der Londoner Saison einläuten. Das Parlament wird seine Sitzungsperiode beginnen und Horden von Familien werden unsere schöne Stadt stürmen, um festliche Veranstaltungen und Teegesellschaften, Konzerte, Derbys und Unterhaltungen aller Art zu besuchen. Aber der inoffizielle Start dieser Festlichkeiten ist Lady Markhams Ball zu Ehren von Felicitys gesellschaftlichem Debüt. Lady Markham hat zu diesem Anlass einen herrlichen Saal im West End gemietet, dessen prunkvolle Dekoration im orientalischen Stil einem Sultan gerecht würde. Die Veranstaltung dieser Bälle gleicht einem sportlichen Wettkampf. Jede Gastgeberin ist von wildem Ehrgeiz besessen, das glänzendste, verschwenderischste aller Feste auszurichten. Lady Markham hat beschlossen, die Latte ziemlich hoch zu legen.
    Riesige Palmen säumen den Ballsaal auf beiden Seiten. Tische sind mit weißen Tüchern und Tafelsilber gedeckt, das wie ein Piratenschatz glänzt. Ein Orchester spielt direkt hinter einem roten, mit chinesischen Drachen bemalten Wandschirm. Ein Feuerschlucker mit Turban und einem blau bemalten Gesicht wie der indische Gott Krischna bläst eine dicke orangerote Flamme aus seinen gespitzten Lippen und die Gäste stoßen Laute des Entzückens aus. Drei ineinander verschlungene siamesische Tänzerinnen mit perlenbestickten Gewändern und Sandalen an den Füßen führen einen langsamen, kunstvollen Tanz auf. Sie scheinen ein einziger Körper mit vielen sich bewegenden Armen zu sein. Männer umringen die Tänzerinnen, fasziniert von deren geschmeidiger Anmut.
    »Wie vulgär«, sagt meine Anstandsdame, Mrs Tuttle. Großmama hat eine hübsche Summe für deren Dienste am heutigen Abend bezahlt und Mrs Tuttle erweist sich als die schlimmste Anstandsdame, die man sich nur denken kann – pünktlich, scharfzüngig und übertrieben aufmerksam.
    »Mir gefallen sie«, sage ich. »Ja, ich glaube, ich werde genauso tanzen lernen. Vielleicht

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