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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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Traum? Ich weiß nur, dass ich wach bin und mein Herz ein bisschen rascher schlägt. Ich blinzle, um meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ich höre ein Geräusch. Es ist nicht im Zimmer, es ist über mir. Das Dach knarrt über meinem Kopf, als würde sich jemand darauf bewegen. Ein langer Schatten fällt über meine Wand und ich springe aus dem Bett.
    Jetzt höre ich noch etwas anderes vom Flur her: ein leises Schlurfen wie das Rascheln dürrer Blätter. Ich öffne die Tür einen Spaltbreit, aber da ist nichts. Ich höre es wieder; es kommt von unten. Ich schleiche auf Zehenspitzen über den Gang und die Treppe hinunter, dem Laut folgend. Vor dem Marmorsaal bleibe ich stehen. Das Geräusch ist hier lauter und deutlicher zu hören, es kommt von drinnen: ein Kratzen. Flüstern. Stöhnen.
    Lass es gut sein, Gemma. Kümmere dich nicht darum.
    Ich luge durch das Schlüsselloch. Mondlicht fällt durch die Fenster in den Raum. Ich suche jedes kleine Lichtquadrat ab und meine, eine flüchtige Bewegung in der Dunkelheit zu erkennen. Ich lösche die Kerze und warte. Meine Knie zittern vor Angst. Ich zähle lautlos die Sekunden, eins, zwei, drei … Aber da ist nichts. Dreißig, einunddreißig, zweiunddreißig …
    Neuerliches Geflüster. Leise und schaurig wie Rattenkrallen auf Stein. Ich drücke mein Auge wieder an das Schlüsselloch und mein Herz pocht hart gegen meine Rippen.
    Die Säule. Sie bewegt sich.
    Die in sie eingemeißelten Fabelwesen kommen langsam hervor, mit geballten Fäusten und schwach flatternden Flügeln kämpfen sie sich ans Licht. Keuchend und gurgelnd und sich windend stoßen sie gegen die dünner werdende Membran des Marmors. Ich möchte schreien, aber ich kann nicht. Eine Nymphe befreit sich aus dem Stein. Sie schüttelt den Marmorstaub von ihrem Körper und schwebt durch die Luft. Ich ringe nach Atem. Sie legt lauschend ihren Kopf schief.
    Geschwind wie der Wind ist sie am Schlüsselloch. Ihre Augen sind so groß wie die einer Hirschkuh. »Du kannst uns nicht aufhalten«, flüstert sie. »Das Land ist erwacht und wir mit ihm. Und bald kommt der Tag, an dem dein Blut vergossen wird und wir für immer herrschen werden. Das Opfer!«
    »Halt, was soll’n das? Was haben Sie da zu suchen, Miss?«
    Ich taumle zurück und stoße mit einem Schrei gegen irgendetwas, und als ich mich umdrehe, sehe ich Brigid, die mich anstarrt, die Hände in die Hüften gestemmt und die Nachthaube auf dem Kopf. »Sie sollten im Bett sein!«, sagt sie.
    »Ich h-habe ein G-Geräusch gehört«, stottere ich.
    Brigid runzelt die Stirn und stößt die Tür auf. Sie zündet die erstbeste Lampe an. Der Raum ist vollkommen ruhig. Nichts Ungewöhnliches ist zu sehen. Aber ich höre diese grässlichen kratzenden Geräusche. Spüre sie unter meiner Haut.
    »Hören Sie das nicht?«, frage ich mit erstickter Stimme.
    Brigid schüttelt den Kopf. »Was soll ich hören?«
    »Die Säule. Sie war lebendig. Ich hab’s gesehen.«
    Brigids Gesicht lässt Besorgnis erkennen. »Aber, aber. Sie woll’n Ihrer alten Brigid doch keine Angst machen?«
    »Ich hab’s gesehen«, wiederhole ich.
    »Na dann werd ich mal alle Lichter anzünden.«
    Brigid beeilt sich, Zündhölzer zu holen.
    Kratzen. Über meinem Kopf. Wie Boten der Hölle. Ich blicke nach oben und da ist sie – die Nymphe, flach gegen die Decke gedrückt, mit einem bösartigen Lächeln auf den Lippen.
    »Dort oben!«, schreie ich.
    Brigid hebt die Lampe hoch und die Nymphe ist fort. Brigid fasst sich mit einer Hand an die Brust. »Heilige Muttergottes. Sie haben mich zu Tode erschreckt! Also dann woll’n wir uns jetzt mal die Säule ansehn.«
    Wir schleichen uns Schritt für Schritt an. Ich würde am liebsten wegrennen. Brigid beäugt die Säule und ich erwarte halb, dass etwas sie hineinzieht. »Scheint, als wär alles an seinem Platz. ’s ist nicht lebendig. Nur hässlich.«
    Brigid schlägt leicht gegen die Säule. Sie ist fest. Oder doch nicht? Denn mir kommt es vor, als sehe ich eine freie Stelle, die früher nicht da war.
    »Haben Sie den Kohl gegessen?«, fragt Brigid und beginnt die Lampen zu löschen.
    »Wie bitte?«, sage ich.
    »Kohl zum Mittagessen. Er kann ei’m schreckliche Blähungen machen und dann träumt man auch ganz schrecklich. Keinen Kohl mehr, wenn Sie meinen Rat wollen.«
    Sie löscht die Lampen und der Raum liegt wieder im Dunkeln. Brigid macht die Tür zu und schließt sie ab. Als wir die Treppe hinaufgehen, erklärt sie mir, welche Speisen und Getränke

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