Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
Vom Netzwerk:
schwachen Licht einer Straßenlaterne betrachten wir die Schiefertafel, drehen sie hin und her, aber es ist nichts Ungewöhnliches daran zu entdecken.
    »Vielleicht treten Worte hervor, wenn wir fest darauf starren«, meint Felicity.
    Es ist lächerlich, aber wir starren dennoch konzentriert auf die Tafel. Es passiert absolut gar nichts.
    Ich seufze. »Wir haben eine unnütze Schiefertafel gekauft.«
    »Aber es ist eine blitzsaubere Schiefertafel«, spöttelt Felicity und ich mache mir nicht einmal die Mühe, mit den Augen zu rollen.
    Auf dem Weg zur Londoner Untergrundbahn kommen wir an den streikenden Frauen von der Beardon-Hutfabrik vorbei. Ihre Gesichter sind leer. Die Frauen lehnen sich müde aneinander, haben ihre Protestschilder zu ihren Füßen auf den Boden gestellt.
    »’nen Penny für unsere Sache?«, fragt das Mädchen mit der Sammelbüchse mit müder Stimme.
    »Ich kann mehr als einen Penny spenden«, sage ich. Ich greife in meine Geldbörse und hole alle echten Münzen heraus, die ich habe, drücke sie ihr in die Hand und flüstere: »Gebt nicht auf.« Dabei beobachte ich, wie die Magie in ihren Augen aufblitzt.
    »Die Tragödie der Beardon-Hutfabrik!«, ruft sie mit neu angefachtem Mut. »Sechs Menschen aus Gewinnsucht getötet! Wollen Sie das ungesühnt lassen, Sir? Wollen Sie davor die Augen verschließen, Ma’m?«
    Ihre Kampfgenossinnen heben ihre Plakate wieder. »Gerechte Löhne, faire Behandlung!«, rufen sie. »Gerechtigkeit!«
    Ihre Stimmen schwellen zu einem Chor an, der durch die dunklen Londoner Straßen schallt, bis er nicht mehr ignoriert werden kann.

42. Kapitel
    Gleich nachdem wir in Spence angekommen sind und das Gepäck auf unsere Zimmer gebracht haben, erscheint Mrs Nightwing und schwenkt eine Einladung. »Es gibt ein Geburtstagsfest zu Ehren von Miss Bradshaws Vormund, Mr Wharton, in Balmoral Spring«, sagt sie und rollt den Namen des Anwesens wie essigsauren Wein auf der Zunge.
    »Wahrscheinlich denken sie, wir können ihnen irgendeinen gesellschaftlichen Vorteil verschaffen«, murmelt Felicity.
    »Das Geburtstagsfest ist morgen Mittag, obwohl die Einladung erst vor zwei Tagen eingetroffen ist«, sagt Mrs Nightwing und ich höre, wie sie lautlos hinzufügt: »Elende Manieren.«
    »Ich weiß, Sie vermissen Miss Bradshaws Gesellschaft«, fährt sie fort. »Würden Sie sie gerne besuchen?«
    »Oh ja, bitte!«, ruft Felicity aus.
    »Also gut. Sie müssen morgen sofort nach dem Frühstück reisefertig sein«, sagt Mrs Nightwing und wir versprechen es.
    *
    Am Abend sitzt Felicity bei den anderen Mädchen und sonnt sich in deren Lob über ihren Ball. »Und wie haben euch die tanzenden Derwische gefallen?«, fragt sie mit strahlenden Augen.
    »Sehr gut. Und für so ein langes Programm war es gar nicht langweilig«, sagt Cecily. Sie kann es nicht lassen, ihr Kompliment mit einem Stachel zu versehen.
    »Mutter wird mir nur einen Nachmittagstee zugestehen«, sagt Elizabeth schmollend. »An mich wird man sich überhaupt nicht erinnern.«
    Ich verlasse sie und ziehe mich in mein Zimmer zurück, um Wilhelmina Wyatts Schiefertafel zu untersuchen. Ich drehe die Tafel in meinen Händen, befühle die kleinen Einkerbungen, als könne ich dort ihre Geschichte lesen. Ich lege mein Ohr darauf in der Hoffnung, dass sie mir ihre Geheimnisse zuflüstert. Ich rufe sogar ein wenig Magie herbei und fordere sie auf, alles zu enthüllen, als wäre ich Dr. Van Ripple persönlich. Aber was für Geheimnisse Wilhelmina Wyatts Tafel auch immer bergen mag, sie bleiben fest in ihr verschlossen.
    »Der Schlüssel zur Wahrheit ist golden«, sage ich zu mir selbst. »Welcher Schlüssel?«
    Keine Antwort weit und breit. Ich gebe es auf und lege die Schiefertafel neben mein Bett. Ich trete ans Fenster und schaue zum Wald hinüber, in die Richtung des Zigeunerlagers. Ich frage mich, was Kartik jetzt wohl macht, ob er immer noch von Träumen gequält wird, von Amar, von mir.
    Unten im Garten brennt ein Licht. Ich erkenne Kartik mit seiner Laterne. Er schaut zu meinem Fenster herauf. Mein Herz macht einen kleinen Freudensprung und ich muss es ermahnen, nicht für einen Mann zu schlagen, dem nicht zu trauen ist. Ich ziehe die Vorhänge zu, drehe meine eigene Lampe herunter und krieche ins Bett. Dann mache ich meine Augen fest zu und schärfe mir ein, nicht wieder aufzustehen und ans Fenster zu gehen, wie gern ich es auch tun möchte.
    *
    Ich kann nicht sagen, wovon ich aufgewacht bin. Von einem Geräusch? Einem schlechten

Weitere Kostenlose Bücher