Kartiks Schicksal
Wasserspeier herabfliegen. Die Reiter schreien auf und bedecken ihre Gesichter. Einer der Wasserspeier lässt sich vor die Hufe eines Reiters fallen. Ich erkenne den majestätischen Wächter der Nacht, der mich vor Ithal gerettet hat.
»Das ist unser Kampf. Lauft!« Er zeigt durch eine Lücke im Nebel auf den Weg zur Kapelle. Wir verlieren keine Zeit. Felicity, Ann und ich stürzen durch die Tür der Kapelle und alle anderen hinter uns her. Mrs Nightwing sinkt keuchend in die letzte Bank.
»Schl … schließt die Tür«, stammle ich.
In der Kapelle ist es stockdunkel und ich höre, wie der Riegel von innen vorgeschoben wird.
Als unsere Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, eilt Miss McChennmine zu Mrs Nightwing. »Lillian, bist du in Ordnung?«
»Die Mädchen«, sagt Mrs Nightwing und springt auf die Füße. »Sind alle wohlauf?«
Inzwischen habe ich im hintersten Winkel der Kapelle ein paar Laternen und Kerzen sowie Zündhölzer gefunden.
Cecily kommt zu uns. »Mrs Nightwing, was hat das alles zu bedeuten?« Ihre Augen sind groß und ihre Stimme bebt.
»Wir wollen nicht gleich den Kopf verlieren.« Mrs Nightwing schafft es, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, aber ihre übliche Gelassenheit fehlt. »Los. Kümmern Sie sich um die jüngeren Mädchen.« Cecily gehorcht, ohne zu murren. Sie würde alles tun, nur um die wachsende Panik abzuschütteln. Den schrecklichen Verdacht, dass etwas faul ist. Dass sie recht hat, sich zu fürchten. Dass sie sich nie wieder sicher fühlen wird.
Das Geschrei und Gekreische durchschneidet die Fensterscheiben. Ich weiß nicht, was draußen geschieht, wer gewinnt.
Miss McChennmine setzt sich neben Mrs Nightwing in die Bank. Sie legt ihren Kopf in die Hände. »Wie konnte das alles geschehen?«
»Ich habe es Ihnen gesagt – Eugenia ist mit dem Baum Aller Seelen eins geworden, eins mit der Winterwelt«, sage ich.
Miss McChennmine schüttelt den Kopf.
»Ich dachte, ich werde wahnsinnig«, sage ich.
»Sie werden kämpfen. Immer mehr und mehr werden kommen«, murmelt Mutter Elena. »Jetzt gibt es keinen Schutz.«
»Meine Mädchen«, murmelt Mrs Nightwing. »Ich muss meine Mädchen beschützen.«
»Es muss eine Hoffnung geben«, sagt Ann.
Felicity sieht mich an, ihre Augen flehen, ich möge etwas sagen, was es besser macht, was dem Schrecken ein Ende bereitet.
Draußen vermischt sich das Gekreisch der Ungeheuer mit dem Geknurr der Wasserspeier – die Todesschreie des einen oder beider, es ist schwer zu sagen. Die Mädchen klammern sich aneinander. Einige weinen; einige wiegen sich hin und her. Sie sind vor Furcht wie gelähmt.
»Wir müssen etwas unternehmen. Wir müssen in die Winterwelt gehen«, sage ich.
Kartik verlässt seinen Platz an der Tür. »Du kannst nicht ins Magische Reich gehen, nicht jetzt, wo alle hinter dir her sind.«
»Hier ist sie auch nicht sicherer«, sagt Mrs Nightwing. »Das Gemetzel muss aufhören.«
»Ich tu’s«, sage ich. »Aber ich werde Hilfe brauchen. Das Tor ist beim Ostflügel und wir müssen durch den Wald. Irgendwie müssen wir es bis dorthin schaffen.«
Felicity wirbelt herum. »Du bist wirklich wahnsinnig! Wie sollen wir da durchkommen?«
»Wir können nicht einfach warten!«
»Vielleicht werden uns die Wasserspeier beschützen«, meint Ann.
Kartik tritt zu mir. »Ich komme mit.«
Miss McChennmine springt auf. »Der Orden hat die Rakschana aus dem Magischen Reich verbannt. Sie können ihn nicht mit hineinnehmen!«
»Das habe ich schon getan«, sage ich und nicke Kartik zu.
Miss McChennmine schüttelt ungläubig den Kopf. »Unfassbar. Gibt es irgendetwas, was Sie nicht gründlich falsch gemacht haben, Miss Doyle? Unsere Gesetze verbieten aufs Strengste …«
»Begreifen Sie nicht? Es gibt keine Gesetze mehr! Ich werde tun, was ich gottverdammt noch mal für richtig halte!«, brülle ich. Meine Worte hallen – umso schockierender – in der Kapelle wider.
»Ich möchte darauf hinweisen, dass ich kein Mitglied der Rakschana mehr bin«, fügt Kartik hinzu. »Und Miss Doyle kann tun, was sie gottverdammt noch mal für richtig hält.«
Felicity nimmt meine Hand. »Ich bin dabei.«
»Und ich auch«, sagt Ann und nimmt meine andere Hand.
»Ich begleite Sie im Namen des Ordens«, sagt Miss McChennmine.
»Na ja, ich werd nicht Daumen drehen«, sagt Fowlson.
»Jemand muss hierbleiben und Lillian und die Mädchen beschützen«, wendet Miss McChennmine ein.
Mrs Nightwing streicht ihre Röcke glatt. Sie blickt auf
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