Kartiks Schicksal
sterben«, sagt Philon.
»Nein«, sage ich. »Das können wir nicht zulassen.«
»Ich werde bei ihr bleiben«, sagt Ascha freiwillig.
»Was ist, wenn die Hadschin Neela töten?«, fragt einer der Zentauren.
Philons Antwort ist so kühl wie seine gletschergrünen Augen. »Dann ist dies der Preis, den sie für ihre Verbrechen bezahlt.«
Ich sehe Ascha an in der Hoffnung auf ein Zeichen der Gewissheit, dass sie Neela nichts zuleide tun wird, aber ihr Gesicht lässt keine Regung erkennen.
»Ich werde bei der Gestaltenwandlerin bleiben«, wiederholt sie.
»Wirst du sie beschützen, Ascha?«, frage ich.
Sie antwortet nicht sofort. Nach einer Weile neigt sie den Kopf. »Ich gebe dir mein Wort.«
Ich stoße in einem Schwall die Luft aus, die ich zurückgehalten habe.
»Ich werde mich um sie kümmern, obwohl ich es nicht will«, fügt sie hinzu. Orange Flammen tanzen im Widerschein des Feuers in ihren dunklen Augen. »Und wenn du deine Entscheidung triffst, Lady Hope, wollen wir Unberührbaren ein Wort mitzureden haben. Wir haben zu lange geschwiegen.«
*
Wir sammeln unsere Truppe, so wenige wir auch sind, vielleicht vierzig insgesamt. Philon und das Waldvolk holen ihre Waffen. Es ist nicht viel – eine Armbrust, zwei Dutzend Speere mit Spitzen an beiden Enden, Schilde und Schwerter. Es ist, als wollte man das Parlamentsgebäude mit einem Fingerhut voll Schießpulver in die Luft sprengen. Ich wünschte sehnlichst, ich hätte jenen Dolch.
»Welchen Weg nehmen wir am besten?«, frage ich.
»Sie reiten in die Richtung des Niemandslands«, sagt Philon.
Felicity stöhnt auf. »Pippa!«
»Sie können sie nicht retten«, sagt Kartik.
»Sagen Sie mir nicht, was ich kann und was nicht«, faucht Felicity.
Ich ziehe sie beiseite. Wir stehen am Wasser, wo zwei kleine Boote liegen. »Felicity, wir müssen so schnell wie möglich in die Winterwelt gelangen. Wir können uns später um Pippa kümmern.«
»Aber dann könnte es zu spät sein ! Sie weiß nicht, was auf sie zukommt«, fleht Felicity. »Wir müssen sie warnen!«
Ich denke an den verbrannten Garten, die blutgetränkten Fahnen entlang des Flusses, das vertriebene Waldvolk. Ich würde alles dafür geben, um Pippa vor solch einem Schicksal zu bewahren. Aber das Risiko ist zu groß. Die dunklen Geister der Winterwelt könnten dort auf der Lauer liegen. Und soviel ich weiß, hat Pippa sich mit ihnen verbündet.
»Es tut mir leid«, sage ich und wende mich ab.
»Du bist grausam!«, schreit mir Felicity nach. Sie bricht in Tränen aus. Ich weiß, dass ich das Richtige getan habe, aber ich könnte mich nicht elender fühlen, und wahrscheinlich gehört das dazu, wenn man die Verantwortung übernimmt.
Ich marschiere neben Philon, als das Waldvolk und die Hadschin sich zum Kampf bereit machen. Sie tragen Waffen auf das Schiff. Ein Unberührbarer hievt einen Köcher mit Pfeilen auf seine Schultern und ein Waldbewohner hilft ihm dabei. Die Zentauren nehmen jeden auf ihren Rücken, der reiten möchte.
Ann kommt atemlos zu mir gerannt.
»Was ist?«, frage ich.
»Sie hat mir eingeschärft, es dir nicht zu sagen, aber ich muss. Sie ist gefahren, um Pippa zu warnen.«
Eines der kleinen Boote fehlt.
»Wir müssen ihr nach«, sage ich.
»Das können wir nicht«, warnt Kartik, aber ich bin schon auf dem Sprung.
»Ich will Felicity nicht verlieren. Wir brauchen sie. Ich brauche sie«, stelle ich fest.
»Ich komme mit Ihnen«, verkündet Miss McChennmine.
»Und ich auch«, sagt Ann.
Kartik schüttelt den Kopf. »Du bist verrückt, wenn du glaubst, ich lasse dich ohne mich fahren.«
»Ja, ich bin verrückt. Aber das weißt du schon länger«, sage ich. Er will widersprechen und ich schließe ihm mit einem plötzlichen Kuss den Mund. »Vertrau mir.«
Widerwillig lässt er mich fort und wir drei stoßen mit dem Boot vom Ufer ab. Kartik steht dort und beobachtet, wie wir auf den Fluss hinausgleiten. Mit dem Rauch und den verblassenden Flammen hinter ihm sieht er ein wenig unwirklich aus – wie ein Geist, ein flackerndes Bild in einer Laterna-magica- Schau,ein Stern, der zur Erde fällt, ein Augenblick, der nicht dauern kann.
Ich habe das dringende Verlangen, das Boot zu wenden und eiligst zu ihm zurückzukehren. Aber die Strömung erfasst uns und trägt uns rasch dem Niemandsland zu, was immer uns dort erwartet.
67. Kapitel
Der Himmel über der Winterwelt ist blutrot. Er gießt ein unheimliches Licht über das Niemandsland. In der Ferne ragt die Burg. Ich bin
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