Kartiks Schicksal
dort erwartet. Vielleicht sollte ich vorauslaufen, um nachzusehen.«
»Einverstanden«, sage ich. Ich würde lieber unverzüglich weitergehen, aber er hat recht und ich kann kaum atmen. Korsetts sind nicht zum Laufen gedacht.
»Ich begleite dich, Kumpel«, sagt Fowlson und blickt sich erstaunt um.
Kartik nickt unwillig und die beiden stürzen davon.
Erschöpft suchen wir uns einen Platz im Schutz eines großen Felsblocks.
»Warum haben Sie uns nicht gesagt, dass Sie solche Schreckgestalten gesehen haben?«, fragt Miss McChennmine außer Atem. Aber es ist nur eine rhetorische Frage. Sie weiß, warum. Ihr dunkles Haar hat sich halb aus seinen Verankerungen gelöst. Es weht wild im böigen Wind. »Wir haben aus Chaos Ordnung geschaffen. Wir haben Schönheit bewirkt und Geschichte gestaltet. Wir haben die Zauberkraft des Magischen Reichs sicher bewahrt. Wie konnte es dazu kommen?«
»Sie haben die Magie nicht sicher bewahrt. Sie haben sie für sich selbst behalten.«
Sie schüttelt den Gedanken aus ihrem Kopf. »Gemma, Sie können mit der Zauberkraft noch immer viel Gutes bewirken. Aber zuerst müssen wir unsere Macht innerhalb des Magischen Reichs sichern.«
»Hier wird es niemals Sicherheit geben! Wohin ich mich wende, überall, unter jedem Stein, kriecht etwas Neues hervor, das nach dieser Macht giert! Niemand kann sich erinnern, woher die Magie kam oder warum; jeder will sie nur besitzen! Ich bin ganz krank davon – krank bis auf die Knochen, verstehen Sie?«
»Ja«, sagt sie ernst. »Und trotzdem ist es so furchtbar schwer, sie loszulassen, nicht wahr?«
Sie hat recht. Sogar jetzt, bei allem, was ich weiß, nach allem, was ich gesehen habe, möchte ich immer noch daran festhalten.
Die Männer kommen von ihrem Erkundungsgang zurück. Kartiks Gesicht ist grimmig. »Sie haben sich den Garten vorgenommen.«
»Was meinst du damit?«
»Er ist weg«, sagt er.
66. Kapitel
Der Garten, durch den wir gehen, ist nicht mehr das blühende Paradies, das wir gekannt haben. Der Geruch verbrannter Erde schlägt uns entgegen. Die Bäume wurden zu Asche verbrannt. Die Blumen wurden in den Schmutz getreten. Der silberne Bogen, der einst zu der Grotte führte, wurde niedergerissen. Die Hängematte, die ich aus Silberfäden geknüpft habe, ist zerfetzt.
Tränen schimmern in Miss McChennmines Augen. »Ich habe davon geträumt, den Garten wiederzusehen, aber nicht so.«
Fowlson legt ihr seinen Arm um die Schultern.
»Was ist hier los?«, fragt Ann. Sie hält ein Häufchen abgebrochener Blüten in ihren hohlen Händen.
»Gebieterin!« Die Medusa kommt auf dem Fluss in Sicht. Sie ist lebendig und unversehrt. Ich war noch nie so froh, sie zu sehen.
Fowlson weicht einen Schritt zurück. »Was zum Deiwel is’n das?«
»Eine Freundin«, sage ich und laufe zum Fluss. »Medusa, kannst du uns sagen, was hier los ist? Was du gesehen hast?«
Die Schlangen auf ihrem Haupt zischen und winden sich. »Der Wahnsinn regiert«, sagt die Medusa. »Alles ist Wahnsinn.«
»Es herrscht also Krieg?«, sagt Miss McChennmine.
»Krieg.« Die Medusa spuckt das Wort aus. »So nennen sie es, um ihm die Illusion von Ehre und Heldentum zu verleihen. Es ist Chaos. Wahnsinn und Blut und der Wunsch zu siegen. So war es immer und so wird es immer sein.«
»Medusa, wir müssen zum Baum Aller Seelen. Wir haben vor, ihn zu fällen. Gibt es eine sichere Passage in die Winterwelt?«
»Kein Ort ist jetzt sicher, Gebieterin. Aber ich werde euch trotzdem flussabwärts bringen.«
Wir setzen Segel. Der Fluss singt heute nicht lieblich. Er singt überhaupt nicht. Manche Gegenden sind von den Verwüstungen verschont geblieben. Andere waren nicht so glücklich. Pfähle mit blutgetränkten Fahnen erinnern uns daran, dass die dunklen Geister der Winterwelt keine Gnade walten lassen werden.
Als wir an den Höhlen der Seufzer vorüberkommen, lugen mehrere Hadschin aus ihren Verstecken hervor. Ascha winkt mir vom Ufer her zu.
»Medusa, dort hinüber!«, rufe ich.
Wir legen an und die Medusa lässt die Planke herunter, damit Ascha an Bord kommen kann. »Sie sind überall«, sagt Ascha. »Ich fürchte, sie sind zum Waldvolk geritten.«
*
»Was ist das?«, fragt Kartik, als wir uns dem goldenen Schleier nähern, der das Waldvolk dem Blick verbirgt. Schwarze Wolken ziehen wie eine Narbe über den Fluss.
»Rauch«, antworte ich und mein Herzschlag beschleunigt sich.
Wir ducken uns tief ins Boot und halten uns die Hand vor Nase und Mund, trotzdem würgt es uns im
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