Kartiks Schicksal
Sumpfdotterblumen schaukelt ein kleines Ruderboot auf dem Fluss. Wir waten durch das feuchte Gras und ich ziehe das Boot ans Ufer.
Pippa pflückt eine Sumpfdotterblume und dreht sie in ihrer Hand. »Es ist so schön hier. Manchmal vergesse ich das.«
»Wir können fahren, sobald du bereit bist«, sage ich sanft.
Sie steckt sich die Blume hinters Ohr. »Ich bin bereit.«
Wir lassen uns in dem schwankenden Boot nieder und stoßen vom Ufer ab. Ich habe auf diesem Fluss Abenteuer, Glück und Gefahr erlebt, aber noch nie war meine Reise von solcher Wehmut überschattet. Nun heißt es Abschied nehmen für immer, und obwohl mir mein Gefühl sagt, dass es richtig ist, fällt es dennoch sehr schwer, sie gehen zu lassen. Ich sehe immer noch die Pippa, die ich früher gekannt habe, die Pippa, die mich Freundin nannte.
Ich steuere das andere Ufer des Flusses an, wo der Horizont im orangegoldenen Schein des Sonnenuntergangs glüht. Es macht mich schlaftrunken, als würde ich in der Sonne dösen. Und dann hält das Boot unvermittelt an. Es rührt sich nicht mehr von der Stelle.
»Warum haben wir angehalten?«
»Ich weiß es nicht«, sage ich. Ich versuche, das Boot wieder flottzumachen, doch vergeblich.
»Ich dachte, du besitzt die Fähigkeit, Seelen hinüberzubringen«, sagt Pippa in Panik.
»Ich habe es noch nie getan. Du bist die Erste. Ich glaube nicht, dass ich dich bis ans Ufer bringen kann. Ich nehme an, du musst den Rest des Weges allein machen.«
Pippas Augen weiten sich. »Nein, das kann ich nicht! Ich kann nicht ins Wasser gehen. Bitte, bitte, zwing mich nicht dazu.«
»Doch, du kannst es«, versichere ich ihr und hoffe, dass meine Stimme meine Nervosität nicht verrät. »Ich helfe dir. Hier, umfass meine Arme.«
Ich lasse Pippa ins Wasser hinunter und löse sacht ihre Hände von meinen Armen. Ihre Röcke entfalten sich wie Lotusblumen. »Leb wohl, Gemma«, sagt sie und schwimmt gegen die Strömung. Ich schaue ihr nach und es ist, als würde ich beobachten, wie ein Teil meiner selbst verschwindet. Ich muss mir die Hand auf den Mund pressen, um nicht zu rufen: »Nicht. Komm zurück. Bitte.« Das Licht verschluckt sie. Meine Wangen sind tränennass. Leb wohl, Pip.
Mit einem plötzlichen Ruck taucht sie unter. Ihre Hände schlagen wild um sich. Sie kommt hoch, Wasser spuckend und verzweifelt nach Luft ringend.
»Gemmai«, ruft sie erschrocken. »Hilf mir!«
Panik erfasst mich. Ist das die Art und Weise, wie es zu geschehen hat? Doch nein, ich habe andere Seelen gesehen, die sich nicht so gequält haben. »Pip!«, schreie ich. Ich lehne mich weit aus dem Boot. Sie packt meine Hände und ich ziehe sie an Bord.
»Ruder zurück«, sagt sie hustend. »Ruder zurück!«
Erst als wir heil das Ufer erreicht haben und Pippa sich im Garten auf ihre Knie fallen lässt, beginnt sich ihr Atem zu beruhigen.
»Was ist passiert?«, frage ich.
»Ich konnte den Fluss nicht überqueren«, schluchzt sie. »Es wurde mir nicht erlaubt!« Ihre Augen sind vor Angst weit aufgerissen.
»Sie kann nicht hinüber. Es ist zu spät.« Die Medusa ist herangekommen.
Pippa umklammert wild meinen Arm. »Was … sagt … sie?«
»Du hast die Beeren gegessen«, zischt die Medusa. »Mit der Zeit hat die Magie der Beeren ihr Werk an dir vollendet und dich ans Magische Reich gebunden. Du bist nun eine von uns.«
Ich denke an den schrecklichen Tag, als Pippa hier zurückgeblieben ist, während wir anderen entkommen sind. Ich erinnere mich an das dunkle Etwas, das sie in den Fluss getrieben hat. Ich erinnere mich, wie ich sie später gefunden habe, kalt und bleich, im Wasser. Und ich erinnere mich an den schicksalhaften Augenblick, als sie sich entschieden hat hierzubleiben, indem sie die Beeren gegessen hat. Warum habe ich sie im Stich gelassen? Warum habe ich nicht härter gekämpft, um sie zu retten?
Pippa stürzt sich auf die Medusa und schlägt mit geballten Fäusten auf sie ein. Die Schlangen schnellen hoch, züngelnd und zischend. Eine schnappt nach Pippa und beißt sie in die Hand. Pippa schreit auf und fällt ins Gras, ihre Hand umklammernd, von ersticktem Weinen geschüttelt.
»Willst du … sagen … dass ich hierbleiben muss? Für immer?«
Die gelben Augen der Medusa verraten keine Gefühlsregung. »Die Würfel sind gefallen. Du musst dich anpassen. Akzeptiere es und lebe weiter.«
»Ich kann nicht!«, jammert Pippa. Zwischen Schluchzern stößt sie hervor: »Gemma … du! Du hast mir gesagt … ich … müsse ins Jenseits
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