Kartiks Schicksal
Ballkleid? Rubinohrringe? Ein Prinz?« Ich schlucke mühsam und berühre mit meinen Fingern ihre nutzlosen Augen. »Oder … vielleicht könnte ich..«
Sie nickt. »Ja, Miss, bitte.«
Ich bedecke ihre blinden Augen und zwinge die Magie in die gewünschte Richtung. »Hat es …«, beginne ich.
Wendys Mund bildet eine dünne Linie. »Tut mir leid, Miss.«
»Du kannst nicht sehen?«
Sie schüttelt den Kopf. »Die Hoffnung war zu groß.«
»Die Hoffnung ist nie zu groß«, sage ich, aber mein Herz ist schwer. Zum ersten Mal hat die Magie ihre Grenze aufgezeigt: Ich kann anscheinend nicht heilen. »Gibt es etwas anderes? Irgendetwas?«
»Ich werde es Ihnen zeigen«, sagt sie und nimmt meine Hände. Den Weg ertastend führt sie mich nach draußen und um die Burg herum zu einem kleinen, erfrorenen Grasflecken. Sie kniet sich nieder und presst ihre Hände darauf. Eine vollkommene weiße Rose schlüpft aus dem Boden. Ihre Blütenblätter haben blutrote Ränder.
Wendy atmet tief ein. Ein Lächeln spielt um ihre Lippen. »Ist sie da?«
»Ja«, sage ich. »Sie ist wunderschön.«
»Mama hat Rosen in Wirtshäusern verkauft. Ich habe den Geruch immer geliebt.«
Ein süßes kleines Kaninchen hoppelt vorbei, die Schnuppernase tief am Boden.
»Wendy«, flüstere ich. »Beweg dich nicht.«
Ich streife den Raureif von einem Büschel bitterer Kräuter und biete es dem Häschen an. Neugierig hoppelt es näher. Ich hebe es hoch und bette es in meine Arme.
»Hier, fühl«, sage ich und halte das Kaninchen ganz dicht an Wendy heran. Sie streichelt sein Fell und ihr Gesicht hellt sich auf »Wie willst du es nennen?«, frage ich.
»Nein, Sie sollen ihm einen Namen geben«, meint Wendy.
»Also gut.« Ich betrachte das Schnupperhäschen genauer. Es hat so etwas Vornehmes und Reserviertes an sich. »Wie wär’s mit Mr Darcy?«, frage ich, obwohl sie diesen Herzensbrecher aus Stolz und Vorurteil bestimmt nicht kennt.
»Mr Darcy. Das gefällt mir.«
Aus Zweigen und Ranken und ein bisschen Magie bastle ich einen Käfig und setze den kleinen Kerl hinein. Wendy drückt den Käfig an sich, als enthalte er ihre kostbarsten Träume.
*
Auch wenn der Abschied schwerfällt, unsere Nacht muss ein Ende nehmen und wir müssen in unsere Welt zurückkehren. Wir umarmen einander und versprechen, bald wiederzukommen. Pippa und die anderen begleiten uns bis zur Dornenhecke. Wir schlagen den Weg zum geheimen Tor ein, als der Boden unter unseren Füßen von Pferdegetrappel zu zittern beginnt.
»Lauft! Schnell!«, rufe ich.
»Was ist?«, fragt Ann, doch zum Antworten ist keine Zeit. Wir nehmen die Beine in die Hand und rennen.
»Sie schneiden uns den Weg ab«, rufe ich. »Zum Garten.«
Wir laufen, so schnell wir können, um den Reitern zu entkommen, haben jedoch gegen sie keine Chance. Als der Fluss in Sicht kommt, haben sie uns eingeholt.
»Verwende die Magie«, fleht Felicity, aber ich bin so in Panik, dass ich keine Kontrolle über die Magie gewinne. Sie rast durch mich hindurch, bis es mich auf die Knie zwingt.
Die üppig wuchernden Farne am Wegrand teilen sich und mehrere prächtige Zentauren treten hervor. Mit ihrem Anführer Creostus habe ich schon früher Bekanntschaft gemacht. Er hat für Sterbliche nicht viel übrig, besonders für mich nicht.
Creostus verschränkt die Arme vor seiner breiten Brust und mustert mich voll Verachtung. »Sei gegrüßt, Priesterin. Ich glaube, du schuldest meinem Volk einen Besuch.«
»Ja. Ich habe es mir vorgenommen«, lüge ich.
Creostus beugt sich dicht zu mir. Seine Augenbrauen sind dick und sein dünner Ziegenbart läuft unter einem breiten, grausamen Grinsen spitz zu. Er riecht nach Erde und Schweiß. »Natürlich hast du das.«
»Alles ist bereit, Gebieterin. Ich werde euch jetzt zu Philon bringen«, ruft die Medusa, die am Ufer anlegt, und ich weiß, dass sie bei dieser Sache ihre Hand im Spiel hat. Sie will, dass ich das Bündnis schließe, auf Biegen und Brechen.
»Ja, siehst du? Wir sind schon unterwegs«, sage ich zu Creostus und schleudere der Medusa einen Blick zu, den sie ignoriert. Sie senkt ihre Laufplanke für uns, ohne den Zentaur aus den Augen zu lassen.
Creostus lässt Felicity und Ann vorbei, doch mir schneidet er den Weg ab. Er bringt sein Gesicht ganz nah an meins und raunt mir mit rauer Stimme ins Ohr, dass mir eine Gänsehaut über den Rücken läuft. »Wenn du uns verrätst, Priesterin, wird es dir leidtun.«
Als ich an Bord komme, zieht mich Felicity beiseite.
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