Kartiks Schicksal
stößt Ann hervor.
Lily sieht sie eine Weile prüfend im Spiegel an. Sie zieht an ihrer Zigarette. Ihre Worte kommen in einem Schwall von grauem Rauch heraus. »Sind Sie ganz sicher, dass es das ist, was Sie möchten?«
»Oh ja!«, ruft Ann.
»Eine rasche Antwort.« Lily Trimble trommelt mit den Fingern auf ihrem Toilettentisch. »Rasche Antworten führen oft zu rascher Reue. Zweifellos werden Sie in Ihre Charmeschule zurückkehren, bei einem Tanztee einen respektablen Mann kennenlernen und all das vergessen.«
»Nein, das werde ich nicht«, sagt Ann und aus ihrer Antwort spricht etwas, das man nicht ignorieren kann.
Lily nickt. »Also gut. Ich werde Ihnen ein Treffen mit Mr Katz vermitteln.«
»Mr Katz?«, wiederholt Ann.
Lily Trimble legt ihre Zigarette in einen Messingaschenbecher und lässt sie darin schwelen, während sie sich ihrem Haar widmet. »Ja. Mr Katz. Der Eigentümer unserer Truppe.«
»Dann ist er ein Jude?«, fragt Ann.
Miss Trimbles Augen im Spiegel werden schmal. »Haben Sie etwas gegen Juden, Miss Washbrad?«
»N-n-nein, Miss. Ich glaube jedenfalls nicht, denn ich habe noch nie einen getroffen.«
Die Schauspielerin lacht auf, rau und unvermittelt. Ihr Gesicht entspannt sich zu einer liebenswürdigen Maske. »Sie hatten hinreichend Gelegenheit, solch eine Bekanntschaft zu machen. Sie sprechen mit einer Jüdin.«
»Sie sind eine Jüdin?«, platzt Felicity heraus. »Aber Sie sehen überhaupt nicht jüdisch aus!«
Lily Trimble zieht eine perfekt geschwungene Augenbraue hoch und hält Felicitys Blick fest, bis unsere Freundin wegschauen muss. Ich habe Fee selten so eingeschüchtert gesehen. Es ist ein Moment reinen Glücks und ich genieße ihn enorm.
»Lilith Trotsky aus der Orchard Street, New York, New York. Man war der Meinung, dass der Künstlername Trimble für die Bühne passender sei – und für die wohlerzogenen Herrschaften, die kommen, um berühmte Schauspielerinnen zu sehen«, bemerkt sie trocken.
»Sie belügen sie«, sagt Felicity herausfordernd.
Lily sieht sie durchdringend an. »Jeder versucht, jemand anders zu sein, Miss Worthless. Hier habe ich das Glück, dafür bezahlt zu werden.«
»Ich heiße Worthington«, sagt Felicity zwischen den Zähnen, die so fest zusammengebissen sind wie die eines Soldaten.
»Worthless. Worthington. Ehrlich, ich kann keinen Unterschied erkennen. Menschen wie Sie sehen alle gleich aus. Seien Sie ein Engel, Nannie, und reichen Sie mir diese Strümpfe, ja?«
Ann, das Mädchen, das kaum das Wort Strümpfe aussprechen kann, beeilt sich, Lily Trimbles Bitte nachzukommen. Sie überreicht die Strümpfe mit einer Verbeugung, die Königinnen und Göttinnen vorbehalten ist.
»Hier, Miss Trimble«, sagt sie.
»Danke, Herzchen. Sie sollten jetzt besser gehen. Ein Verehrer wartet auf mich. Ich gebe Ihnen Bescheid bezüglich des Treffens. Spence-Akademie sagten Sie?«
»Ja, Miss Trimble.«
»Sehr gut. Und nehmen Sie keine hölzernen Nickel.« Ann runzelt verwirrt die Stirn, bis Lily es erklärt. »Lassen Sie sich nicht übers Ohr hauen.« Sie wirft Felicity und mir vernichtende Blicke zu. »Und passen Sie auf sich auf. Mir scheint irgendwie, Sie werden es nötig haben.«
*
Als wir zu Felicitys Mutter zurückeilen, schieben zwei Männer eine lange Kulissenwand an uns vorbei. Aus dieser Nähe sieht es überhaupt nicht wie der Wald von Birnam aus, man erkennt nur Farbflecken und Pinselstriche. Ann hat nicht aufgehört zu reden, seit wir Lily Trimbles Garderobe verlassen haben.
»War sie nicht unheimlich klug? ›Jeder versucht, jemand anders zu sein.‹« Sie wiederholt die Worte mit Miss Trimbles breitem amerikanischen Akzent wie ein Papagei. Ich frage mich, ob sich diese Gewohnheit auf die Dauer als ärgerlich oder liebenswert erweisen wird.
»Ich fand sie gewöhnlich«, entgegnet Felicity spitz. »Und übertrieben dramatisch.«
»Sie ist eine Schauspielerini Es ist ihre Natur, dramatisch zu sein«, protestiert Ann.
»Ich hoffe, es wird nicht deine. Es wäre unerträglich«, spottet Felicity.
Wir sind im Foyer angelangt, das sich noch nicht ganz geleert hat. An einem Ende sehen wir Mrs Worthington, die nach uns ausschaut.
»Und im Übrigen hast du ein größeres Problem, Nannie«, sagt Felicity, absichtlich Miss Trimbles Kosenamen für sie verwendend. »Du bist mit dem Gesicht einer anderen Person aufgetreten – dem von Nan Washbrad. Sie ist diejenige, die sie erwarten, nicht Ann Bradshaw. Wie wirst du diese Situation meistern?«
Anns
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