Kartiks Schicksal
bildhübsche und elegante junge Dame meine Tochter ist?« Seine Stimme ist schwächer, seine Augen zwinkern nicht ganz so wie früher und er ist immer noch sehr dünn, aber sein Schnurrbart krümmt sich unter einem breiten Lächeln. Als er mir seine Arme entgegenstreckt, laufe ich zu ihm, wieder sein kleines Mädchen. Ich blinzle die plötzlichen Tränen fort.
»Willkommen zu Hause, Vater.«
Seine Umarmung ist nicht so kraftvoll, wie sie einstmals war, aber sie ist warm und wir werden ihn so schnell wie möglich wieder aufpäppeln. Vaters Augen werden weich. »Du siehst ihr von Tag zu Tag ähnlicher.«
Tom sitzt mürrisch auf einem Stuhl und bedient sich mit Tee und Keksen. »Der Tee wird schon kalt sein, Gemma.«
»Du hättest nicht auf mich warten sollen«, sage ich, noch immer an meinen Vater geschmiegt.
»Das habe ich damit gemeint«, beklagt sich Tom.
Vater bietet mir einen Sessel an. »Als Kind hast du immer zu meinen Füßen gesessen. Aber da du jetzt kein Kind mehr, sondern eine junge Dame bist, sollst du sitzen, wie es sich gehört.«
Großmama gießt uns allen Tee ein und entgegen Toms Gemecker ist er noch heiß. »Wir wurden eingeladen, diese Woche in der Hippokrates-Gesellschaft in Chelsea zu speisen, und Thomas hat angenommen.«
Mit finsterem Blick lässt Tom zwei große Zuckerstücke in seinen Tee fallen.
»Wie schön«, sage ich.
Vater erlaubt Großmama, Milch in seine Tasse zu gießen, sodass sich der Tee wölkt. »Es sind fabelhafte Burschen, Thomas – nimm das zur Kenntnis. Immerhin ist Dr. Hamilton selbst ein Mitglied.«
Tom beißt in einen Keks. »Ja, der alte Hamilton.«
»Der Hippokrates-Klub ist deinem Stand viel angemessener als der Athenäum-Klub«, sagt Vater. »Es ist nur zu deinem Besten, dass mit diesem Unsinn Schluss ist.«
»Es war kein Unsinn«, sagt Tom mürrisch.
»Doch, das war es und du weißt es.« Vater hustet. Es rasselt in seiner Brust.
»Ist der Tee zu kalt? Soll ich neuen aufgießen? Oh, wo ist bloß dieses Mädchen schon wieder?« Großmama steht auf, dann setzt sie sich wieder und steht nochmals auf, bis Vater ungeduldig mit der Hand wedelt und sie sich wieder hinsetzt. Ihre nervösen Finger falten die Serviette in ordentliche kleine Quadrate.
»Du siehst ihr so ähnlich«, sagt Vater abermals. Seine Augen sind feucht. »Wie sind wir an diesen Punkt gekommen? Wo ist es schiefgelaufen?«
»John, du weißt nicht, was du sagst«, sagt Großmama. Ihre Lippen zittern.
Tom starrt unglücklich auf den Boden.
»Ich würde meine Seele dafür geben, um zu vergessen«, flüstert Vater unter Tränen.
Er ist gebrochen und der Bruch geht quer durch uns alle hindurch – mitten durch mein Herz. Mit einem winzigen bisschen Magie ließe sich die Lage ändern.
Nein, schlag dir den Gedanken aus dem Kopf, Gemma.
Aber warum nicht? Warum sollte ich ihn leiden lassen, wenn ich ihn davon befreien kann? Ich kann diesen Jammer nicht noch eine Woche lang ertragen. Ich schließe die Augen und mein Körper zittert unter seinen geheimen Kräften. Von weither höre ich meine Großmutter bestürzt meinen Namen rufen und dann verlangsamt sich die Zeit, bis sie zu einem seltsamen Gruppenbild erstarren: Vater, den Kopf in seine Hände gestützt; Großmama, ihren Kummer in ihren Tee rührend; Tom mit finsterem Gesicht, das seine Unzufriedenheit mit uns ausdrückt. Ich spreche meine Wünsche laut aus und berühre dabei eine Person nach der anderen.
»Vater, vergiss deinen Schmerz.«
»Thomas, es ist Zeit, dass du aufhörst, ein trotziger Junge zu sein, und zum Mann wirst.«
»Und, Großmama, oh bitte, vergönne uns ein bisschen Spaß, ja?«
Doch die Magie ist noch nicht fertig mit mir. Sie entdeckt mein heftiges Verlangen nach einer Familie, die ich einmal hatte, aber an Mächte verloren habe, die ich nicht kontrollieren konnte. Für einen Augenblick sehe ich mich selbst glücklich und sorglos unter einem blauen indischen Himmel laufen. Mein Lachen hallt in meinem Kopf wider. Oh, wie gern würde ich dieses Glück noch einmal erleben. Die Macht dieser Sehnsucht zwingt mich in die Knie. Sie treibt mir Tränen in die Augen. Ja, ich möchte das wiederhaben. Ich möchte mich geborgen fühlen. Beschützt. Geliebt. Wenn ich mir das mit Magie erkaufen kann, dann will ich es haben.
Ich hole tief Luft und stoße sie zitternd wieder aus. »Also beginnen wir noch einmal von vorn.«
Die Zeit eilt vorwärts. Sie heben ihre Köpfe, als erwachten sie aus einem Traum, froh, ihm entronnen zu
Weitere Kostenlose Bücher