Kartiks Schicksal
steifem Strohhut, schlendert in unsere Richtung. Ich hatte vergessen, wie gut er aussieht – hochgewachsen, muskulös, mit braunem Haar und Augen so blau wie ein ungetrübtes Meer. Aber es ist das freche Glitzern in diesen Augen, das einem Mädchen das Gefühl gibt, ausgezogen worden zu sein und nicht dagegen protestiert zu haben. Neben Simon geht eine reizende Brünette. Sie ist klein und zierlich. Ihre Anstandsdame marschiert mit ihr im Gleichschritt, ein Bild der Zuverlässigkeit.
»Wer ist das Mädchen bei Simon Middleton?«, flüstere ich.
Miss Chatterbox ist überglücklich, dass ich sie ins Vertrauen ziehe. »Ihr Name ist Lucy Fairchild und sie ist eine entfernte Cousine«, berichtet sie atemlos. »Amerikanerin und vermögend. Neureich natürlich, aber stink reich, und ihr Vater hat sie in der Hoffnung hergeschickt, dass sie einen Sohn aus einer verarmten Familie heiraten und einen Titel nach Hause bringen wird, um ihrem Reichtum Glanz zu verleihen.«
Das also ist Lucy Fairchild. Mein Bruder würde sich auf die Schienen werfen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Jeder Mann würde das tun. »Sie ist bildhübsch.«
»Ist sie nicht absolut perfekt?«, sagt Miss Chatterbox sehnsüchtig.
Wahrscheinlich hatte ich gehofft, dass ich mich geirrt habe … » Na ja, ich finde sie gar nicht so besonders hübsch. Sie hat einen zu kurzen Hab und eine komische Nase. « Aber ihre Schönheit ist eine unbestrittene Tatsache. Und wie kommt es, dass ihre Schönheit einen langen Schatten über mich wirft, sodass darunter jedes Fünkchen meines Lichts ausgelöscht wird?
Miss Chatterbox fährt fort. »Es gibt Gerüchte über eine Verlobung.«
»Mit wem?«
Meine Begleiterin kichert. »Oh, ich bitte Sie! Mit Simon Middleton natürlich. Würden sie nicht ein schönes Paar abgeben?«
Eine Verlobung. Zu Weihnachten hat Simon mir einen derartigen Antrag gemacht. Aber ich habe ihm einen Korb gegeben. Jetzt frage ich mich, ob es nicht vielleicht zu vorschnell war, ihn abzuweisen.
»Aber die Verlobung ist nur ein Gerücht«, sage ich.
Miss Chatterbox wirft verstohlene Blicke um sich und hält ihren Sonnenschirm dann so, dass er uns verbirgt. »Nun ja, ich sollte es lieber für mich behalten, aber zufällig weiß ich, dass sich die Vermögensverhältnisse der Middletons geändert haben. Sie brauchen dringend Geld. Und Lucy Fairchild ist überaus gut situiert. Eigentlich erwarte ich eher heute als morgen, dass sie die Verlobung bekannt geben. – Oh, da ist Miss Hamphill!«, ruft Miss Chatterbox aufgeregt. Da sie jemanden erspäht hat, der viel wichtiger ist als ich, verwandelt sie sich in eine Staubwolke, ohne auch nur ein weiteres Wort zu verlieren, wofür meine Ohren vermutlich dankbar sein sollten.
Während Großmama sich mit einer alten Frau über Gärten, Rheumatismus und ähnliche unerschöpfliche Themen unterhält, sehe ich den Reitern zu und bemitleide mich selbst.
»Frohe Ostern, Miss Doyle. Sie sehen gut aus.« Simon Middleton stellt sich neben mich. Er ist stark und schön – und allein.
»Danke. Wie schön, Sie zu sehen«, sage ich.
»Ganz meinerseits.«
Ich räuspere mich. Sag irgendetwas Geistreiches, Gemma. Nichts Abgedroschenes, um Himmels willen. »Ist das nicht ein wunderschöner Tag heute?«
Simon schmunzelt. »Durchaus. Warten Sie … Sie sehen wunderschön aus. Es ist wunderschön, einander wiederzusehen. Und das Wetter ist ebenfalls wunderschön. Ich glaube, damit haben wir die Wunderschönheit aller wunderschönen Dinge erfasst.«
Ich muss lachen. Er hat das Talent, einen zum Lachen zu bringen. »Konversation machen ist wirklich nicht meine Stärke.«
»Stimmt überhaupt nicht. Tatsächlich können Sie sogar … wunderschön Konversation machen.«
Mehrere Reiter galoppieren vorbei und Simon feuert sie mit Beifallsrufen an.
»Wie ich höre, kann man schon bald gratulieren.« Es ist kühn von mir, das zu sagen.
Simon zieht eine Augenbraue hoch. Seine Lippen kräuseln sich zu einem schamlosen Lächeln, das ihn noch anziehender macht. »Wozu, wenn ich fragen darf?«
»Man sagt, Ihre Verlobung mit Miss Fairchild steht unmittelbar bevor«, antworte ich und blicke die Reitbahn hinunter, wo Lucy Fairchild ihr Pferd besteigt.
»Ich habe den Eindruck, nicht Kricket ist der beliebteste Sport in London«, sagt Simon. »Sondern Klatsch.«
»Ich hätte es nicht nachplappern sollen. Es tut mir leid.«
»Das muss es nicht. Nicht meinetwegen. Ich liebe Unhöflichkeit.« Das schamlose Lächeln ist wieder da.
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