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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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sein.
    »Sagt, worüber haben wir gerade gesprochen?«, fragt Vater.
    Großmama blickt verdutzt drein. »Zu komisch, aber ich kann mich nicht erinnern. Ha! Ha, ha, ha! Ich hab wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank!«
    Tom nimmt sich noch einen Keks. »Fantastische Kekse!«
    »Thomas, was glaubst du, wie wird unsere Mannschaft bei der heutigen Meisterschaft abschneiden?«
    »England wird natürlich siegen! Wir haben die beste Kricketmannschaft der Welt.«
    »Das lob ich mir, Junge!«
    »Vater, ich bin doch kein Junge mehr.«
    »Richtig! Du trägst nun schon seit einer Weile lange Hosen.« Vater lacht und Tom stimmt ein.
    Vater isst zwei Kekse und muss nur einmal zwischendurch husten. Großmama füllt unsere Tassen bis zum Rand.
    »Oh, dieser Raum braucht Licht! Licht!« Sie ruft nicht nach der Haushälterin, sondern geht selbst zu den Fenstern und zieht die schweren Vorhänge auf. Der Regen hat aufgehört. Ein winziger Sonnenstrahl stiehlt sich durch Londons graue Wolkendecke wie ein Hoffnungsstrahl.
    »Gemma, Liebling«, sagt Großmama. »Was um Himmels willen ist denn los? Warum weinst du?« 
    Ich lächle unter Tränen. »Kein Grund zur Besorgnis.«
    *
    Es ist einer der glücklichsten gemeinsamen Nachmittage, an die ich mich erinnern kann. Vater fordert uns zu einer Partie Whist heraus und wir spielen bis in den frühen Abend hinein. Als Einsatz verwenden wir Walnüsse, aber weil sie so gut schmecken, essen wir sie heimlich und bald ist nichts mehr übrig, um was wir spielen können. Großmama setzt sich ans Klavier, stimmt mit Schwung die neuesten Schlager an und lädt uns zum Mitsingen ein. Mrs Jones bringt uns Becher mit heißer Schokolade und sogar sie lässt sich anstecken und singt das eine oder andere Lied mit. Als es dämmert, zündet Vater seine Pfeife an, die ich ihm zu Weihnachten geschenkt habe, und der Duft beschwört Kindheitserinnerungen, die mich einhüllen wie ein Kokon.
    »Wenn nur eure Mutter hier wäre, um uns am Feuer Gesellschaft zu leisten«, sagt Vater und ich halte den Atem an, denn ich fürchte, das Kartenhaus, das ich gebaut habe, wird in sich zusammenstürzen. Ich bin nicht bereit, mir dieses Glück gleich wieder rauben zu lassen. Ich gebe ihm gerade nur eine Prise Magie mehr.
    »Wie merkwürdig«, sagt er und seine Miene hellt sich auf. »Ich habe gerade an deine Mutter gedacht, aber jetzt ist die Erinnerung weg und ich kann sie nicht mehr zurückrufen.«
    »Vielleicht ist es besser so«, sage ich.
    »Ja. Vergessen«, sagt er. »Nun, wer möchte eine Geschichte hören?«
    Das möchten wir alle, denn es gibt nichts Unterhaltsameres als Vaters Geschichten.
    »Sagt, habe ich euch je die Geschichte von dem Tiger erzählt …«,beginnt er und wir grinsen. Wir kennen die Geschichte gut; er hat sie schon hundertmal erzählt, aber das spielt keine Rolle. Wir sitzen da und lauschen und sind aufs Neue gebannt, denn gute Geschichten verlieren anscheinend nie ihre Magie.

23. Kapitel
    Ostern überrascht uns alle mit einem strahlend blauen Morgen von solcher Klarheit, dass das Licht in den Augen schmerzt. Nach dem Gottesdienst bummeln wir einträchtig in Richtung der Damenreitbahn im Hyde Park. Die Straßen werden zu einem weiß gekräuselten Meer aufgespannter Sonnenschirme, die uns gegen die englische Sonne schützen sollen. So schwach diese auch ist, kann sie dennoch Sommersprossen hervorrufen, und unsere Haut hat so unbefleckt zu sein wie unser Ruf. Meine Haut ist bereits mit kleinen braunen Tupfen übersät, sehr zum ständigen Leidwesen meiner Großmutter.
    Selbst in der frühen Blütezeit ist der Park prächtig. Viele Frauen haben ihre Stühle auf den Rasen gestellt, um zu plaudern und die Pferde und Reiterinnen auf der Rotten Row zu beobachten. Dieser Teil der Reitbahn ist den Damen im Sattel vorbehalten. Hin und wieder brechen Reiterinnen aus und zeigen einen wilden Wettkampfgeist, um sich gleich wieder zu besinnen.
    Ich habe das Pech, neben der Tochter eines reichen Kaufmanns zu gehen, die eine tödliche Angst vor Stille zu haben scheint, denn sie redet ununterbrochen. Ich nenne sie heimlich Miss Chatterbox. »Und dann hat sie vier Tänze hintereinander mit ihm getanzt! Können Sie sich das vorstellen?«
    »Wie skandalös«, erwidere ich kühl.
    »Genau! Jeder weiß doch, dass drei Tänze das Äußerste sind«, antwortet sie, ohne meine Ironie zu bemerken.
    Die Menschenmenge lichtet sich ein wenig und mir stockt fast das Herz. Simon Middleton, strahlend in seinem weißen Anzug und mit

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