Karwoche
Freunde ihres Bräutigams nicht, namentlich Kreuthner. Denn mit Kreuthner und dessen Freunden zechte Kilian die Nächte durch, kam stinkend nach Hause, redete wenig und undeutlich, bevor er ins Bett sackte und bis zum Nachmittag schlief. Kreuthner seinerseits mochte Sigi nicht, weil sie versuchte, Raubert die geselligen Abende mit seinen Freunden auszutreiben. Wäre Kreuthners Verhältnis zu Sigi von etwas mehr Wärme geprägt gewesen, hätte er sich womöglich nicht so ins Zeug gelegt, als es um den obligatorischen Schabernack in der Hochzeitsnacht ging. In Kreuthners Kreisen war es üblich, die Wohnung der Brautleute so zu präparieren, dass auf das Paar bei seiner nächtlichen Heimkehr lustige Überraschungen warteten. Zu den harmloseren Streichen gehörte das Hartkochen aller Eier im Kühlschrank, das Verrücken von Einrichtungsgegenständen oder das Verstecken von Weckern in der Wohnung, deren Alarm man vorher auf unterschiedliche Uhrzeiten gestellt hatte. Auch das vollständige Verfüllen des Schlafzimmers mit Luftballons war beliebt. Wer es eine Spur härter mochte, vernagelte den Zugang zum Schlafzimmer. Echte Profis mauerten es zu.
Mit solchen Kindereien wollte Kreuthner sich freilich nicht zufriedengeben, wenn es um Sigi ging. Zuerst gebar er die Idee, mit einem effektvolleren Material als Ziegeln zu arbeiten. Die Schlafzimmertür sollte mit einer großen, bruchsicheren und vor allem unsichtbaren Glasscheibe verschlossen werden. Als sich Kreuthner und seine Freunde ausmalten, wie das ahnungslose, trunkene Brautpaar nach der Hochzeitsfeier versuchte, das Schlafzimmer zu betreten, wollte das Feixen kein Ende nehmen. Was Kreuthner an der Vorstellung ein bisschen störte, war der gemächliche Gang, mit dem das müde Brautpaar sein Schlafgemach vermutlich betreten würde. Die Optimierung des Plans wurde durch einen Bericht des Sennleitner angeregt, der sich von seiner eigenen Hochzeit her noch erinnerte, wie verdammt eilig er es zu Hause hatte, auf die Toilette zu kommen. Und seine Braut auch. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die Gründe waren letztlich unerheblich. Entscheidend war das Tempo, mit dem Raubert, Sigi oder beide Bekanntschaft mit der Glasscheibe machen würden. Und so verschlossen Kreuthner und seine Kumpane in einer generalstabsmäßig geplanten Aktion nicht die Schlafzimmer-, sondern die Badezimmertür der künftigen Ehewohnung mit einer Panzerglasscheibe. Kreuthner dachte in letzter Sekunde noch daran, das Licht im Bad brennen zu lassen und die Birne in der Dielenlampe herauszuschrauben, so dass keine verräterische Spiegelung den Spaß vereiteln konnte.
In früheren Zeiten wurde die Freude an derlei Streichen oft durch den Umstand getrübt, dass die Initiatoren nicht dabei sein konnten, wenn die Falle zuschnappte. Das Problem ließ sich heutzutage durch eine kleine Kamera lösen, die die Bilder auf einen Computer übertrug. Kurz nachdem das Brautpaar die Hochzeitsfeier verlassen hatte, versammelten sich also Kreuthner, Sennleitner und ein paar andere im Hinterzimmer der Wirtschaft um einen Laptop. Auf dem Bildschirm sah man alsbald den Bräutigam einen dunklen Flur entlangtorkeln. Ziel des Mannes war das hell erleuchtete Bad mit der Toilette am Ende des Ganges. Abrupt und wie durch Geisterhand wurde Kilian Raubert an der Badezimmertür gestoppt. Zuerst kam der Kopf zum Stehen, Sekundenbruchteile später klatschte der restliche Körper gegen die unsichtbare Wand und verursachte ein schreckliches Geräusch im Computerlautsprecher, das freilich im Gejohle und Schenkelklopfen der versammelten Spitzbuben unterging. Kilian Raubert war mit großer Wucht gegen die Scheibe geknallt. Er sackte lautlos zusammen, und innerhalb von Sekunden wuchs ihm ein gewaltiges Horn auf der Stirn. Sigi, die beim Wettrennen zur Toilette wegen ihrer hohen Absätze ins Hintertreffen geraten war, betrat jetzt den Flur, sah ihren Gatten vor dem Badezimmer liegen und stieß laute Verwünschungen aus, dass der sich auf der Hochzeitsfeier so hatte volllaufen lassen. Nachdem sie ihn an den Füßen aus dem Weg gezogen hatte, schürzte sie den Rock ihres Brautkleides und trippelte mit hastigen, kleinen Schritten Richtung Toilette – die sie natürlich nicht erreichte, denn auch Sigi donnerte mit einer Wucht gegen die Panzerglasscheibe, dass es aus dem Laptop klang, als habe jemand eine Glocke geläutet. Sigi sackte nicht sofort zusammen, sondern vollführte zum Gaudium der Zuschauer erst eine Pirouette, bevor sie mit
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