Karwoche
gereckten Daumen entgegen.
»Soll ich dich heute abend abholen?« Wallner klopfte Manfred den Staub von der Jacke. »Ich muss tatsächlich noch was Dienstliches machen.«
»Ich fahr Ihren Großvater schon nach Hause«, sagte Jana Kienlechner.
Sie verabschiedeten sich, und Manfred kehrte zu seiner alternativen Osterfeier zurück, Wallner zu seinem Wagen. Doch in dem Moment, da sich Wallner umdrehte, sah er etwas im Augenwinkel. Er glaubte einen Augenblick, sich zu täuschen. Aber dann durchzuckte ihn eine Erkenntnis.
Kapitel 55
J ana Kienlechners Blick hätte Wallner unter anderen Umständen auf dem Absatz kehrtmachen lassen. Aber es ging möglicherweise um Leben und Tod.
»Haben Sie etwas vergessen?«, fragte Jana Kienlechner.
»Sagen Sie, gehört das dem Kleinen?« Wallner deutete auf ein Kind, das ein pinkfarbenes Plüschlamm umklammerte.
In Jana Kienlechners Gesicht blinkte kurz Irritation auf. »Das ist eine sehr merkwürdige Frage.«
»Ich weiß.«
»Wurde das Tier als gestohlen gemeldet?«
»Nein.« Wallner lachte bemüht. »Es ist nur so – ich glaube, ich habe das Lamm vor kurzem woanders gesehen. Kennen Sie eine Krankenschwester namens Jennifer Loibl?«
Jana Kienlechner erstarrte.
»Kann das sein, dass Sie es von ihr haben?«
»Klären Sie mich mal auf, um was es eigentlich geht.«
»Ich fürchte, da müssen Sie mich aufklären. Ich kann Ihnen nur so viel sagen: Ich habe dieses Plüschtier gestern bei Frau Loibl in der Wohnung gesehen. Ich war bei ihr, weil sie wahrscheinlich eine wichtige Zeugin in einem Mordfall ist. Aber aus irgendwelchen Gründen will sie nicht mit der Polizei reden.«
»Bist immer noch da?« Manfred kam mit einem Kuchenteller aus dem Haus.
»Bin gleich verschwunden. Ich muss nur kurz was fragen.«
Manfred setzte sich an einen der Biertische und machte sich über seinen Kuchen her, behielt Wallner aber im Auge.
»Wo war ich?«, wandte sich Wallner wieder an Jana Kienlechner.
»Sie will nicht mit der Polizei reden.«
»Ah ja. Jedenfalls habe ich das rosa Lamm gesehen und mir nichts dabei gedacht. Jetzt ist es mir wieder eingefallen. Sie selbst haben meinem Kollegen Hanke vor kurzem davon erzählt. Es ist das Plüschtier, das Sofia Popescu aus Rumänien mitgebracht hat.«
»Richtig. Hat sich da eigentlich was ergeben?«
»Mit Sofia Popescu?«
»Ja.«
Wallner sah Jana Kienlechner unschlüssig an. Sie wusste es noch nicht. »Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen. Sofia Popescu ist nicht in Rumänien angekommen.«
»Ist ihr was passiert?«
»Sie ist tot.«
Die junge Frau verlor das erste Mal, seit Wallner ihr begegnet war, die Fassung. Die Gesichtszüge entglitten ihr, der Mund stand offen. »Was heißt tot? Wie ist sie …?«
»Sie wurde ermordet. Man hat sie gestern am Seehamer See gefunden.«
Jana Kienlechner atmete tief in den Bauch, schluckte, wusste nicht, wo sie ihre Hände lassen sollte, steckte sie schließlich mit hochgezogenen Schultern in ihre Jeanstaschen und sagte: »Gehen wir rein.«
In der Küche roch es nach alten Zwiebeln und Holz. Das kleine Fenster ließ wenig Licht herein. Jana Kienlechner klammerte sich an ihre Teetasse.
»Hanna Lohwerk hat Sofia und Jennifer zusammengebracht. Jennifer Loibl hatte an Weihnachten irgendetwas mitbekommen, als Leni erschossen wurde. Ganz hab ich das nicht verstanden. Aber es hatte etwas damit zu tun, dass die Tochter der Millruths als Kind missbraucht worden war. Und Jennifer wusste auch, dass dieses Plüschlamm in Rumänien war und dass es irgendetwas beweist. Aber was es war, wusste sie wohl nicht so genau.«
»Was hatten die drei vor?«
»Hanna Lohwerk hat gesagt, man müsste den ins Gefängnis bringen, der Leni das damals angetan hatte.
Ich
glaube ja, die wollte Geld von den Millruths.«
»Wie haben Sie Jennifer Loibl kennengelernt?«
»Sie ist mal aus München gekommen, um Hanna Lohwerk zu besuchen, und hat Sofia bei uns abgeholt. Dann sind die beiden nach Hausham gefahren.«
»Wieso ist das Lamm jetzt wieder hier?«
»Sofia hat es Hanna Lohwerk gegeben. Die hatte Angst, dass es wegkommt, und hat es Jennifer gegeben. Sie dachte, in München ist es sicher. Jennifer ist heute an den Spitzingsee gefahren, um jemanden zu besuchen. Sie wollte das Lamm nicht mitnehmen. Und sie wollte es auch nicht bei sich in der Wohnung lassen. Ich glaube, sie hat Angst vor jemandem.«
»Das Problem ist, dass wir sie nicht erreichen können. Der Bekannte, der sie angeblich in seine Hütte an den
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