Kasey Michaels
Taschen hinterlassen könnten, trotzdem ließen wir nie von
diesem Ritual ab.“
Blake
nickte und trank dann endlich einen Schluck, so als sei ihm die Kehle sonst zu
rau und trocken, als dass er fortfahren könnte. „Als er in der Schenke nicht
auftauchte, bin ich losgezogen und habe ihn gesucht. Ich fand ihn schließlich
in einer Scheune; sein rechtes Bein war zerschmettert, sein Kopf bandagiert.
Beinahe wäre ich weitergegangen, weil ich ihn kaum erkannt habe.“
Erstickt
aufschluchzend barg Charlotte ihr Gesicht an Rafes Schulter.
„Verzeihen
Sie mir, Madam.“ Gequält schaute Blake zu Rafe. „Alles, was er noch sagen
konnte, war, dass ich mich um seine
Lyddie kümmern solle. Ich musste es ihm versprechen. Und dann ... starb er.
Ich glaube, er hat nur so lange durchgehalten, mir dieses Versprechen
abzunehmen. Ich ... ich bin geblieben, habe dafür gesorgt, dass er ein ordentliches
Begräbnis bekam – auf einem kleinen Kirchhof in der Nähe. So viele arme
Burschen lagen noch auf dem Schlachtfeld verstreut, als ich abreiste ...
Seinen Namen habe ich erst an dem Tag ans Hauptquartier gemeldet, als ich von
Ostende ablegte. Du solltest es nicht aus den Verlustlisten erfahren, Rafe, ich
wollte es dir selbst sagen. Als dein Freund – und als sein Freund – fand ich,
ich schuldete es euch. Wenn ich doch nur mehr hätte tun können!“
Er griff in
die Innentasche seiner Uniform und zog ein in Ölhaut gewickeltes Päckchen
heraus, das er auf den Tisch legte. „Ich weiß, du wirst dich um alles kümmern,
Rafe“, sagte er, legte die Hände auf den Griff seines Stockes und stemmte
sich hoch. „Madam.“ Er neigte den Kopf vor Charlotte.
Rafe, der
den Blick nicht von dem Päckchen lassen konnte, dessen Inhalt er so gut kannte,
stand ebenfalls auf und erklärte: „Ich begleite dich nach unten.“
Vor dem
Salon blieb Blake kurz stehen und schaute die geschwungene Treppe zum oberen
Stockwerk empor, ehe er langsam und schwerfällig die Treppe hinabhumpelte.
„Deine Schwester, sie war Fitz sehr teuer. Solch ein hübsches junges
Mädchen.“ Rafe ansehend fragte er: „Sie wird damit fertig werden?“
„Fitz war
sich ihrer jungen Jahre bewusst und versprach mir, zu warten, bis sie älter
war, ehe er sich ihr erklärte. Aber ich denke, er wusste, dass Lydia sich schon
längst entschieden hatte.“
„So viele
Tränen, Rafe, so viel Herzeleid ... Was wirst du nun tun? Ich muss wohl zurück
nach Malvern.“
„Ich muss
auch heimkehren. Es gibt keinen Grund mehr, in London zu bleiben, also brechen
wir in den nächsten Tagen auf nach Ashurst Hall. Wie Fitz schon vergangenes
Jahr behauptete – die Feinde sind uns ausgegangen. Und dieses Mal, lieber
Gott, lass es wahr sein.“
Die beiden
Männer schüttelten sich die Hände und umarmten sich kurz, dann ließ Harris es
sich nicht nehmen, dem Duke of Malvern persönlich das Portal zu öffnen und ihn
zu der wartenden Kutsche zu geleiten.
Stocksteif
verharrte Rafe in der Halle und starrte lange auf die geschlossenen Türflügel.
Nie wieder würde Fitz durch dieses Portal schreiten. Nie wieder würden sie auf
dem Feld gemeinsam vor einem mageren Feuer sitzen, oder vor dem Kamin auf
Ashurst Hall, und Ernstes oder Albernheiten reden. Nie wieder würde er sein
fröhliches Lachen hören ...
„Wenn ich
Ihnen mein tiefstes Beileid aussprechen darf, Sir. Der Captain war ein feiner
Mensch“, sagte Harris leise und riss Rafe damit aus seiner Versunkenheit.
„Ja, das
war er, nicht wahr? Ein feiner Mensch, Harris“, entgegnete Rafe, dann ging
er zurück nach oben in den Salon. Er wollte Charlotte sehen, brauchte sie
jetzt.
Sie wartete
an der Tür auf ihn, und er legte einen Arm um sie und führte sie zu dem Sofa,
wo auf dem Tisch davor das Päckchen lag. Das Einzige, was von seinem Freund
geblieben war.
„Du
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