Kasey Michaels
Charlotte sich mühsam auf; sie fühlte sich
steinalt. Ihre Zofe, deren Augen ebenfalls vom Weinen gerötet waren, empfahl
ihr, ein beruhigendes Bad zu nehmen, und Charlotte ging darauf ein, in der
Hoffnung, dass sie danach würde schlafen können und möglichst, ohne zu träumen.
Zwei
Stunden später war ihr klar, dass das Bad nicht geholfen hatte. Weil sie ihre
Zofe nicht stören wollte, stieg sie aus dem Bett, schlüpfte in Pantoffeln und
Morgenmantel und steuerte die Küche an, um sich etwas warme Milch zu holen.
Als sie auf
dem Gang an Rafes Tür vorbeikam, blieb sie unversehens stehen.
Dahinter
war er, tief bekümmert.
Und sie
stand hier draußen, ebenso traurig.
Und das war
falsch.
Schnell,
ehe sie es sich anders überlegen konnte, hob sie die Hand und klopfte sacht an
die Tür.
Keine
Antwort. Sie könnte weitergehen. Oder noch einmal klopfen.
Oder ihre
einfältige, dumme Haltung überwinden und einmal nicht nur an sich selbst
denken, nicht nur an ihre lächerlichen Ängste.
Er brauchte
sie. Das hatte er gesagt.
Und sie
brauchte ihn, selbst wenn sie nicht ganz verstand, wonach es sie verlangte und
was sie ihm geben wollte.
Charlotte
drehte den Knauf und trat in das dämmrige Zimmer. Nur der Mond warf sein Licht
durch das breite Fenster in den großen Raum, und das Kaminfeuer gab sein
rötliches Glühen dazu. Doch es genügte ihr, zu sehen, dass Rafe, die langen
Beine ausgestreckt, in einem der Ohrensessel vor dem Kamin hingestreckt saß,
ein Glas in der Hand.
„Rafe?“,
fragte sie zaghaft. „Darf ich mich zu dir setzen? Bitte.“
Sein Profil
war ihr zugewandt, er hob vage die linke Hand und ließ sie wieder sinken.
Entschlossen
wertete Charlotte das als Zustimmung.
Doch
anstatt sich in den zweiten Sessel zu setzen, ging sie zu ihm, kniete neben ihm
nieder und schmiegte ihre Wange an seine Knie.
Lange Zeit
schwiegen sie und betrachteten die tanzenden Flammen im Kamin. Nach einer Weile
legte Rafe seine Hand auf ihr Haar und begann es zu streicheln. Sie schloss die
Augen und unterdrückte mühsam ein Schluchzen.
„Warum?“,
fragte er endlich. „Warum Fitz? Warum ein so guter Mann?“
„Ich weiß
es nicht, Rafe“, flüsterte sie und schaute zu ihm auf. Von Kummer
gezeichnet, wirkten seine Züge wie gemeißelt.
„Ich weiß,
was Krieg bedeutet, ich habe, weiß Gott, genug davon
gesehen. Eigentlich gibt es nie einen Grund dafür, zumindest keinen
vernünftigen. Und dafür musste Fitz sterben. Ich verstehe das nicht, weißt
du?“
„Er war ein
guter Mann“, sagte Charlotte ernst. „Er hatte dich ins Herz
geschlossen.“
Traurig
lächelte Rafe. „Wir waren Waffenbrüder und noch viel mehr. Ich hoffe nur, er
wusste, was er mir war.“
Abermals
schluckte Charlotte ihre Tränen hinunter. „Das wusste er bestimmt. So wie ich
weiß, dass ich dich liebe.“
Er lächelte
auf sie nieder. „Danke, Charlie.“
„Nein,
Rafe, danke mir nicht. Verzeih mir. Ich ... meine dummen Ängste ... und
vielleicht auch Stolz ... haben mich davon abgehalten, dir zu geben, was du von
mir möchtest – was ich für uns beide möchte – und ich habe nichts dagegen
getan. Rafe, du bist mir tausendmal wichtiger als diese Ängste. Ich hätte mich
an dir festhalten sollen, nicht mich an die Vergangenheit klammern.“
„Charlie
...“
„Nein,
bitte, lass mich zu Ende sprechen. Ich muss das jetzt sagen. Ich habe mich vor
Geistern gefürchtet, die erst dadurch Macht über mich bekamen. Ich dachte, ich
hätte Zeit genug, wir beide hätten Zeit ... aber das dachten Fitz und Lydia
wahrscheinlich auch. Wenn ... wenn ich dich verlöre ... wenn ich nie zu dir
kommen, nie wissen würde, wie es ist, dich zu lieben ... ganz zu lieben,
allumfassend ...“
Er stellte
sein Glas ab, nahm sie bei den Händen und zog sie, aufstehend, mit sich hoch.
„Du weißt, was du da sagst, mein
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