Kasey Michaels
mindesten ähnlich. Nicole hatte das
gleiche dunkle Haar wie Rafe, dazu jedoch Augen von einem ungewöhnlichen Blau,
beinahe violett wie Veilchen, und mit den langen dunklen Wimpern und
geschwungenen Brauen verliehen sie ihrem Gesicht einen beinahe hypnotisierenden
Ausdruck. ‚Hexe‘, so hatte ihr Vater einmal – und nur halb scherzhaft –
gemeint, und etwas wie ,früher hätte man sie verbrannt' gemurmelt, erinnerte
sich Charlotte.
Nicole
hatte wunderbar helle Haut, doch da sie in ihrer ungestümen Art oft ohne Hut
herumstreifte, strahlte ihr Teint vor Gesundheit, und auf ihrem Näschen
tummelte sich eine entzückende Schar Sommersprossen. Das war zwar nicht sehr
damenhaft, stand dem Mädchen jedoch hervorragend. Kurz gesagt, Nicole sah aus,
wie sie war: frisch, ungezügelt, natürlich und voller Mutwillen.
Ganz im
Gegensatz zu Lydia, die nach ihrer Mutter kam, mit goldenem Haar und großen
Augen, so blau wie der Sommerhimmel. Ihre Haut war hell und klar, denn sie
trug stets Hut oder Haube, nicht aus Furcht vor Sommersprossen, sondern weil
es sich so schickte. Schüchtern, still und lernbeflissen, war sie wie eine eben
sich auffaltende Knospe, die, mit geneigtem Kopfe, sich im Grün verbarg, damit
niemand sie pflückte, ehe sie erblüht war.
Eben jetzt
hatte sie ihr Kinn so tief auf die Brust gesenkt, dass Charlotte nur ihre
großen Augen, in denen Schuldbewusstsein sich spiegelte, sah, wohingegen
Nicole ihr kleines Kinn trotzig emporreckte.
Besser als
tausend Worte beschrieb diese Haltung der Zwillinge
ihren Charakter – oder wer die Anführerin war.
„Ihr
Mädchen, ist es nicht wunderbar?“, sagte Charlotte nach einer winzigen
Pause, die jedoch ewig zu dauern schien. „Euer Bruder ist zurück. Ich habe ihm
schon erzählt, dass eure Tante, während sie auf Reisen ist, mich gebeten hat,
als eure Anstandshüterin zu fungieren, und welchen Spaß wir hatten, seit ich
bei euch wohne. Und nun steht nicht wie angenagelt, kommt, begrüßt euren
Bruder.“
Lydia hob
den Blick und starrte in Anbetracht dieser Lügengeschichte Charlotte verwirrt
an. Aber Nicole, die sowieso stets Unfug im Sinn hatte, blinzelte nicht
einmal, als sie antwortete: „Und wie ein Drache hat sie uns gehütet, sodass wir
nicht gewagt haben, uns daneben zu benehmen. Aber so gehört es sich ja für die
Schwestern eines Duke. Ein Duke, Rafe! Ist das nicht überaus großartig?“
Dabei ging
sie mit ausgebreiteten Armen über den wertvollen Teppich auf Rafe zu und warf
sich in seine Arme.
Ihm blieb
nichts anderes übrig, als sie an sich zu ziehen, wobei er Charlotte einen Blick
zuwarf, der an Panik gemahnte. „Du ... du bist gewachsen“, brachte er
endlich hervor, als Nicole zurücktrat und ihn breit anlächelte. „Ich ... mir
war nicht klar ... äh ... welche bist du?“
„Ich bin
Nicole, aber du hast immer Nicky gesagt. Abscheulich! Doch inzwischen mag ich
das. Lydia, steh nicht da wie ein Klotz, begrüß Rafe endlich.“ An ihren
Bruder gewandt, flüsterte sie: „Du nennst sie natürlich Lydia – aber wie kann
man einen so gespreizten Namen schon abkürzen?“
Charlotte
hätte Rafe knuffen mögen! Er musste etwas sagen, musste Nicole wegen ihrer
vorlauten Art tadeln, sonst würde sie ihm bald auf der Nase herumtanzen. Aber
er schwieg; Nicole hatte ihn aus der Fassung gebracht. Das war kein gutes Omen,
da er sie bei ihrem Debüt in London auf die Gesellschaft würde loslassen
müssen.
„Willkommen
daheim, Euer Gnaden“, sagte Lydia ruhig und zurückhaltend, knickste und
streckte ihm eine Hand entgegen, zog sie jedoch rasch zurück, als ihr dämmerte,
dass ihr Bruder
ihr vielleicht einen Begrüßungskuss würde geben wollen.
„Danke ...
Lydia.“ Er sah zu, wie sie zu ihrem
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