Kasey Michaels
Lydia und mich in
London in die Gesellschaft einführen?“
„London
kommt überhaupt nicht infrage, du elendes Ding, du bist erst sechzehn.“
„Siebzehn
im kommenden Monat“, erinnerte Nicole. „Louisa Madison war bei ihrer
ersten Saison auch erst siebzehn!“
„Ja, und
drei Wochen später wurde sie wieder heimgeschickt, weil sie so töricht gewesen
war, sich von einem Offizier auf Halbsold in Lady Castlereagh's Garten küssen
zu lassen. Möchtest du auch im Handumdrehen an den jüngeren Sohn des
Hilfspfarrers verheiratet werden?“
„Louisa war
immer schon töricht“, erklärte Nicole schnippisch. „Ich würde mich niemals von
einem solchen Mann küssen lassen. Ich werde mich nicht einmal herablassen, mit
jemandem zu tanzen, der nicht mindestens ein Earl ist.“
Charlotte
verdrehte die Augen. „Das wird dein Bruder bestimmt mit Erleichterung hören.
Trotzdem – keine Saison. Ihr beide seid zu jung, und außerdem habt ihr keine Anstandsdame.“
„Was ist
mit dir?“, fragte Nicole breit lächelnd.
„Ich ganz
gewiss nicht. Einmal bin ich selbst noch zu jung dazu, zum andern lasse ich
mich lieber ins Irrenhaus sperren als auf dich, Nicole, aufzupassen. Hör auf,
so zu lächeln! Halt, warte, wohin willst du?“
Nicole war
schon mit fliegendem Haar auf dem Weg zur Tür. Herumwirbelnd sagte sie: „Ha,
das ist doch wohl klar! Ich habe hier gesessen, entsetzt über meine Schandtat,
dass ich meine liebste Tante und meinen herzallerliebsten Bruder hinters Licht
geführt habe. Es bleibt nur eins: Ich muss zu ihm gehen und ihm meine Sünde
gestehen.“
„Du
abscheuliches kleines ... Wage es nicht!“
„Aber
Charlotte, sieh doch ein, dass es schlecht von mir wäre, Rafe derart im Dunklen
zu lassen. Also, nicht, dass du während der ganzen langen Zeit nicht im Dunkeln
gewesen wärst. Zum Narren gehalten von zwei kaum flüggen Mädchen.“ Sie
runzelte aufs Ulkigste die Stirn. „Meine Güte, was wird er von dir
denken?“
„Vielleicht
ist es mir gleichgültig, was er denkt“, sagte Charlotte.
„Pah! Jeder
weiß, dass du halbwegs in ihn verliebt bist. Ha, manchmal trägst du sogar noch
dieses zerfranste Halstuch von ihm. Wie aus einem billigen Kitschroman, würde
Mrs Beasley sagen.“
Charlotte
wollte protestieren, doch sie wusste, sie hatte längst verloren. „Na gut, ich
habe mir vielleicht mal eingebildet, in ihn verliebt zu sein, aber das ist
ewig lange her. Jetzt will ich vor ihm nur nicht wie ein kompletter Idiot dastehen.
Los, was willst du also von mir? Denn als eure An standsdame
kann ich nicht fungieren. Ihr braucht jemanden mit höherem gesellschaftlichem
Rang, der außerdem besser weiß als ich, was für ein Debüt nötig ist. Ihr seid
die Schwestern des Duke! Ich war nur eines von zahllosen kleinen Lichtern,
hatte nicht einmal Karten für Almack's .. oh, ich kann nicht glauben, dass ich
es überhaupt in Erwägung ziehe.“
Nicole
setzte sich wieder an den Frisiertisch und sagte: „Weißt du, ich habe unsere
weiblichen Verwandten väterlicherseits aufgelistet. Von Mutters Seite kommt
sowieso keiner infrage. Die haben alle keinen Penny in der Tasche oder sind
eingesperrt wegen Falschspiels.“
„Aber nein!
Wer hat das gesagt?“
„Mama“,
sagte Nicole munter. „Und sie sollte es doch wissen, oder? Also, es bleibt
Tante Margret.“
„Die lebt
in Schottland und ist permanent krank. Zwar nur eingebildet krank, aber sie
reist grundsätzlich nicht.“
„Und Irene
Murdock?“
„Erinnerst
du dich nicht an die? Diese grässlich rüde, bäurische Person, die bei ihrem
letzten Besuch immer nur futternd im Sessel gehockt hat?“
„Diese Kuh?
Oje! Und Tante Marion?“
„Woher hast
du die Namen? Aus der Familienbibel? Tante Marion ist schon vor Jahren
gestorben. Bleibt nur eure
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