Kasey Michaels
verzehrte, sie zu umfangen, zu küssen, ihr zu beweisen, dass
sie keine Angst vor den ganz normalen Zärtlichkeiten haben musste, die Menschen
austauschten, wenn sie einander gern hatten.
Aber das
durfte er nicht, noch nicht. Was sie damals gesehen hatte, war so abstoßend
gewesen, dass sie es nicht wie mit Hexerei aus ihrem Gedächtnis streichen
konnte, nur weil er ihr ein paar ungeschickte Zusicherungen machte.
„Und jetzt,
Charlie, geh, ehe wir uns endgültig Knoten in die Zunge machen“, sagte er
und drückte ihr, ehe sie sich sträuben konnte, einen flüchtigen Kuss auf die
Nasenspitze. „Ich muss los, ins Kriegsministerium, meine Dienste anbieten.
Fitz gab mir genaue Anweisungen, wie ich mich hier in London nützlich machen
kann.“
Dankbar sah
Charlotte ihn an. „Und ich sollte gehen und Lydia beruhigen. Sie hat Angst um
Fitz. Sag, er ist doch ein guter Soldat, kein wilder Draufgänger?“
„Fitz?“
Blitzartig schoss ihm das Bild durch den Kopf, wie sein Freund, weil ihm gerade
das zweite Pferd unter dem Sattel weggeschossen worden war, einem Wahnsinnigen
gleich zu Fuß, wild bedrohlich seinen Degen schwenkend, mitten in ein
feindliches Trüppchen gestürmt war, sie alle in Grund und Boden verfluchend. Es
hatte die Feinde derart verdutzt, dass sie den Rückzug antraten. „Nein Charlie,
ist er nicht. Und möglicherweise gelingt es Bonaparte ja gar nicht, noch einmal
eine Armee zu sammeln, die für ihn zu sterben bereit ist. Vielleicht verläuft
das alles im Sande, und Mutter hat vergebens ihre Epauletten geordert.“
„Hoffentlich
hast du recht. Ich werde Lydia sagen, dass nicht einmal feststeht, ob es zum
Kampf kommt. Wenn sie das auch kaum beruhigen wird.“
Rafe
schaute ihr nach, als sie hinausging, dann stieß er einen schweren Seufzer aus.
Geduld war nicht gerade seine Stärke, doch Charlotte lehrte ihn nun diese
Tugend. Man könnte sogar sagen, dass er sich sehr ehrenhaft verhielt, da er
Charlotte und ihre Ängste über seine zugegebenermaßen niederen Gelüste stellte.
Ihm fiel
ein alter Ausspruch ein, sinngemäß etwas wie ,die Tugend trägt ihre Belohnung
in sich selbst'.
„Wenn das
tatsächlich so ist“, murmelte er, „wundert es mich nicht, dass das Laster
so viele Anhänger hat.“
11. Kapitel
an muss nicht staunen, dass London so
leer ist“, erklärte Rafe eines Morgens im April beim Frühstück. „Wie Fitz
schreibt, findet das wahre
gesellschaftliche Leben in dieser Saison in Brüssel statt.
Selbst der
Duke of Wellington gab einen Ball!“
„Und ich
war nicht dabei!“, klagte seine Mutter und stocherte mit der Gabel in
der winzigen Portion Rührei, die sie sich zu essen erlaubte. „Aber wir alle
reisen doch nur dorthin, um unseren tapferen Soldaten moralische Unterstützung
angedeihen zu lassen.“
„Indem ihr
in all eurem Putz durch Brüssels Straßen flaniert?“ Rafe blinzelte
Charlotte zu. „Ja, das ist natürlich sinnvoll, entschuldige bitte.“
Charlotte
verbiss sich ein Lächeln. Rafe und seine Mutter zu hören, wie sie einander
subtil an die Kehle gingen, war besser als jedes Theaterstück.
Nicole
kicherte hinter vorgehaltener Hand, während Lydia nicht einmal hinhörte, weil
sie verstohlen in dem Brief las, den sie von Fitz bekommen hatte.
Anfangs war
Rafe beunruhigt, denn er fürchtete, der Briefwechsel zwischen Lydia und Fitz
könnte sie auf Gedanken bringen, die ein Mädchen ihres Alters noch nicht haben
sollte. Doch nach einer Weile vertraute er Charlotte an, wie froh er darüber
war, denn für Fitz, fand er, war es wichtig zu wissen, dass sich hier jemand um
ihn sorgte. Vorausgesetzt, die Briefe blieben rein freundschaftlicher Natur.
Charlotte
hätte ihn beruhigen können. Da sie sich für
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