Kasey Michaels
Vielleicht
sage ich ihm es eines Tages doch noch. Für jetzt muss es ihm genügen zu wissen,
dass ich ihn als Freund betrachte und wünsche, er täte mir die gleiche Ehre, anstatt
mich als Last, einem Versprechen entstammend, zu betrachten.
Oh, da
ist noch etwas! Im Park traf ich einen höchst interessanten Mann, einen Baron
Justin Wilde. Er hat eine ‚tragische Vergangenheit‘, wie du es sicher nennen
würdest, und er spaßt darüber, obwohl in seinen Augen eindeutig der Schmerz zu
lesen ist. Da er mir unmittelbar nach meinem Ausbruch vorgestellt wurde, als
ich meine Gefühle noch nicht ganz wieder im Zaum hatte, war ich, fürchte ich,
ihm gegenüber ein wenig vorlaut, aber mein erstaunlich unverblümter Ton schien
ihn nicht zu entsetzen. Und auch wenn du es dir nicht vorstellen kannst,
brachte ich ihn sogar
zum Lächeln. Der Baron ist ein Freund von Tanner, und wir werden ihn heute
Abend bei Lady Chalfont wiedersehen. Es ist schön, mehr erwarten zu dürfen,
als bei den älteren Damen zu sitzen und zu beten, dass man nicht aufgefordert
wird, während alle anderen tanzen. Weißt du was, Nicole? Ich merke gerade, dass
ich vielleicht doch kein so fades Etwas bin, sondern vielleicht eher die Gentlemen
einschüchtere, weil sie glauben, ich sein abweisend und hochnäsig, wo ich doch
nur ruhig und befangen bin. Meine Güte, dass ist nun wirklich einer Überlegung
wert!
Ich
hoffe, wenn dieser Brief dich erreicht, hast du dich schon bequem auf
Basingstoke eingerichtet, und ich bin überzeugt, dass du alle dort bezauberst.
Ich
werde den Brief morgen fortsetzen, weil ich bis dahin bestimmt etwas über den
Ball zu berichten habe, und weil ich weiß, du wirst dich sonst sorgen. Ich
verspreche dir, dass ich mein Bestes tun werde, mich zu amüsieren.
Lydia las
das Geschriebene noch einmal durch, runzelte bei den letzten Zeilen die Stirn
und griff erneut zur Feder.
Nun, ich
weiß sogar, dass ich mich amüsieren werde, besonders, wenn tatsächlich Schwäne
vorhanden sein sollten.
Ja, das war besser.
Sie schob
das Blatt in die Lade ihres Frisiertischs, dann betrachtete sie sich im
Spiegel. Sarah war wirklich eine hübsche Frisur gelungen. Sie hatte ihr das
Haar streng aus der Stirn gekämmt, es aber dann hinter dem linken Ohr
zusammengefasst, sodass ihr die schimmernden Locken über die Schulter fielen,
wo sie jedes Mal, wenn sie sich bewegte, zart kitzelten und ihr das Gefühl
gaben, sehr ... weiblich zu sein.
Sie
betrachtete ihre Augen und suchte darin nach der Traurigkeit, die sie in Baron
Justin Wildes Blick gesehen hatte. Beide, würde Nicole sagen, seien sie von der
Liebe enttäuscht, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
„Aber
wenigstens wurdest du nicht betrogen von dem Liebsten“, sagte sie
laut zu ihrem Spiegelbild. „Du hast glückliche Erinnerungen, die dir niemand
nehmen kann. Und du musstest nicht acht grässliche Jahre im Exil leben.“
Prüfend
schaute sie ihr Abbild an, bis sie schließlich sagte: „Und du wirst mit dem
Selbstmitleid aufhören, sofort! Es gibt Schlimmeres im Leben, als geliebt
worden zu sein.“
„Mylady,
wünschen Sie noch etwas? Ihr Kleid ist bereit, ich bin fertig mit Bügeln.“
Bei dem ein
wenig besorgten Tonfall wandte Lydia sich um. „Nein, Sarah, danke. Ich habe
mich nur selbst gescholten.“ Sie stand auf und strich ihr seidenes
Unterkleid glatt. „Wie hübsch die Robe aussieht! Das hast du gut gemacht.“
Sarah
knickste. „Danke, Mylady. Ihre Gnaden lässt ausrichten, dass der Duke of
Malvern unten im Salon auf Sie wartet. So ein feiner Gentleman! Mir waren die
Blonden schon immer lieber. Und Sie beide geben ein so hübsches Paar ab, wenn
Sie mir das zu sagen gestatten.“
Sofort
fühlte Lydia sich unbehaglich. Hatte sie sich vor der Zofe verraten? Und wenn
die ihre Gefühle
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