Kasey Michaels
hatte ich
damit gerechnet – Idioten bleiben Idioten – aber nicht bei ihm. Als ich ihn in
Wien traf, war er freundlich genug. Wir haben sogar in einer diplomatischen
Angelegenheit zusammengearbeitet.“
„Aber jetzt
seid ihr beide hier in London,. und Molton wird der Meute folgen, vielleicht
umso eher, als er wahrscheinlich befürchtet, dass jemand hier im Saal ihn in
Wien mit dir gesehen haben könnte.“
„Zumindest
hat Chalfont mich noch nicht aufgefordert, meine unmögliche Person aus seinem
Haus zu entfernen. Das ist immerhin etwas.“
Tanner
lehnte sich mit dem Rücken gegen das Geländer und schaute in den strahlend
erhellten Saal. „Das meinst du doch nicht ernst, was? Seine Gattin ist
hochgestimmt; sie ist überzeugt, sich mit dir den Coup der Saison gesichert zu
haben. Morgen wird ihr Ball in aller Munde sein. Sie war entsetzt, verärgert,
sie fürchtete, ihr Gatte werde jeden Moment seinen Degen ziehen, um dich in die
Flucht zu schlagen. Aber da du ja schon einmal jemanden getötet hattest ... So
wird sie sagen.“
Auch Justin
drehte sich nun um. „Du sagst also, ich sei ein zu schwarzes Schaf, um mich in
der Gesellschaft zu bewegen, aber so gefährlich, dass man nicht wagt, mich
auszuschließen? Interessant! Fast könnte mir das gefallen. Soll ich mich
vielleicht ganz in Schwarz gewanden und eine finstere Miene aufsetzen?“
„Du meinst,
Brummels Herbheit mit Byrons interessantem Schmollen kombinieren? Den Damen
könnte das gefallen.“
„Die Damen
genießen stets den Gedanken, Teile eines prickelnden Dramas zu sein. Es ist
wie Nahrung für sie. Wie sonst hätte Byron eine ganze Schachtel mit Löckchen
weiblichen Schamhaars sammeln können? Frauen sind töricht. Und wir müssen für
ihre Torheit dann eintreten.“
„War deine
Frau eine von Byrons Eroberungen?“
Justin
zuckte die Achseln. „Hab nie nachgeforscht. Ehrlich, solange sie sich nicht wie
Caro Lamb öffentlich zum Narren machte, war es mir herzlich gleichgültig. Über
diesen Fehler nachzugrübeln, habe ich acht lange Jahre Zeit gehabt. Was meine
Gattin angeht, habe ich versagt, Tanner. Ich heiratete ihre Schönheit, nur
daran interessiert, mir dieses prächtige Juwel zu sichern. Erst später, während
der Ehe, erkannten wir beide, dass wir einander fremd waren und uns im Grunde
nicht einmal leiden mochten. Lass dir das eine Lehre sein, mein Freund.
Bewundere ruhig die Schönheit, schlaf mit ihr, wenn es sein muss. Aber sie
heiraten? Lass es.“
Jetzt kam
der Punkt. Tanner wusste, er musste das fragen. „Du hast zweimal mit Lady Lydia
getanzt, Justin. Bewunderst du ihre Schönhěit?“
Der Baron
betrachtete Tanner aufmerksam. „Wildere ich da in fremdem Revier, mein Freund?
Dann musst du es mir sagen. Im Moment sind Freunde für mich nicht so dicht
gesät, dass ich auch nur einen davon vergraulen wollte.“
Ganz sicher
war Tanner sich nicht, was er darauf sagen sollte. Hatte er nicht erst vor ein
paar Stunden ganz unbekümmert zu Rafe gesagt, dass ihm lebende Konkurrenten
willkommener wären als ein Geist aus dem Grab?
Er hatte
Lydia und Justin beim Walzer beobachtet. Sie hatte lebhaft und froh gewirkt und
sich munter unterhalten, ohne von den schiefen Blicken und dem aufgeregten
Gewisper etwas zu bemerken.
Justin sah
gut aus, war reich, umgänglich und klug. Diese Eigenschaften fürchtete Tanner
nicht. Wie aber soll er mit jemandem konkurrieren, dessen Vergangenheit ihn
noch dazu als gefährlich, ja, sogar köstlich faszinierend erscheinen ließ? Schlimmer
aber, konnte man mit einem Freund, sei er tot oder lebendig, konkurrieren?
Es kam ihm
fast vor, als sei Lydia heute erblüht. Zuerst im Park, als sie sich so
echauffierte, dann, als Justin auf der Bildfläche aufgetaucht war.
Weitere Kostenlose Bücher