Kasey Michaels
der Verkündung seiner Verlobung mit einer entfernten Cousine stand, war er
ein regelmäßiger Besucher hier am Grosvenor Square.
Und Lydia
wusste, warum.
Der Captain
war sein Freund gewesen, und der habe gewünscht, erklärte er ihr, dass er sich
als Lydias Freund erweisen möge. Tanner Blakes Hartnäckigkeit hatte über Lydias
Verlegenheit gesiegt, und ihr Verstand hatte ihr geholfen, ihre unvernünftige
Abneigung gegen ihn zu überwinden. Allein deswegen schon war sie dankbar für
die heilende Kraft von Zeit und Entfernung. Aber warum hatte er ihr nicht
längst die Wahrheit gesagt? Dass der Captain ihn auf dem Sterbebett gebeten
hatte, er möge sich „seiner Lyddie“ annehmen.
Wie
schrecklich war es, einen Mann in eine solche Verpflichtung zu zwingen? Um wie
viel schrecklicher aber war es, selbst diese Verpflichtung zu sein? Sie
glaubte, dass der Duke in ihr ein Objekt der Mildtätigkeit sah, dass sie für
ihn nur jemand war, der Mitgefühl verdiente, was sie leider gleichzeitig in die
Rolle der Frau drängte, die immer noch, täglich, stündlich, ihre verlorene
Liebe betrauerte. Jetzt hoffte, betete sie, endlich aus dieser Hölle
auszubrechen, in der sie das vergangene Jahr verbracht hatte, als der Captain
in ihrem Herzen noch lebendig war, eher eine kostbare Erinnerung als ein
permanenter Schmerz.
Der Duke of
Malvern war ein guter Mann, ein ehrenhafter Mann. Aber würde er in ihr je etwas
anderes sehen als eine Verpflichtung? Und warum wurde es ihr immer wichtiger,
dass er sie als Lydia wahrnahm und nicht als ein Anhängsel seiner
Vergangenheit?
Diese Frage
hätte sie nicht einmal ihrer Zwillingsschwester stellen mögen.
Als es an
der Tür klopfte, wischte sie sich hastig über die tränenfeuchten Wangen, ehe
sie rief: „Herein.“
Herein
trat Charlotte Daughtry, Duchess of Ashurst. Sie sah jung aus und aufgrund ihres Zustandes ein wenig
erhitzt; ihr Umfang schien täglich zuzunehmen. Forschend schaute sie Lydia an.
„Ich habe dich lieber erst einmal ein bisschen allein gelassen. Weißt du,
Liebes, sie ist wirklich glücklich. Freu dich für sie.“
„Das tue
ich, ehrlich“, erwiderte Lydia, stand auf und ließ sich von ihrer
Schwägerin umarmen. „Lucas betet sie an, und sie ihn. Aber sie wird mir
fehlen.“
„Wir alle
werden sie vermissen, aber es ist ja nicht so, als wenn sie ans Ende der Welt
führe. Schon im Juli besuchen sie und Lucas uns auf Ashurst Hall, um ihren
neuen Neffen oder ihre Nichte zu sehen – gebe der Himmel, dass das Kind bis dahin
auf der Welt ist –, und auch, um ihre Hochzeit zu planen. Übrigens stellt sie
sich vor, zu Pferde vor der Kirche zu erscheinen, mit einer Schar kleiner
Mädchen aus dem Dorf voran, die Rosenblätter streuen. Lucas ist leider so
verliebt, dass er allem zustimmen würde.“
Nun musste
Lydia doch lächeln, trotz ihrer feuchten Augen. Wie sehr ihr diese
Rührseligkeit widerstrebte! Immer schon war sie bemüht gewesen, ihre Gefühle zu
verbergen, besonders die tiefer gehenden, die ihr Angst machten. „Also eigentlich
... eigentlich fände ich es sehr hübsch. Es ist so ... so ganz Nicole.“
„Sag es
Rafe nicht, aber das finde ich auch. Oh, wo wir von Rafe sprechen – er ist
unten mit unserem Freund Tanner, der dich an diesem so ungewöhnlich warmen Tag
zu einer Ausfahrt einlädt. Ist es nicht schön, die Sonne zu sehen, selbst wenn
sie immer wieder ein bisschen Versteck spielt? Eigentlich kam ich nur her, um
dir Tanners Einladung auszurichten. Herrje, nicht nur, dass ich breit wie ein
Haus bin, jetzt werde ich auch noch senil! Wie auch immer, Tanner wusste
irgendwie von Nicoles Abreise und will dir deshalb Gesellschaft leisten. Ist er
nicht ein wunderbarer Freund? Geh also, und hol dir Hut und Pelisse, und ich
sage ihm, dass
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