Kasey Michaels
„Harburton ist vermutlich schon auf Malvern
eingetroffen, denn wenige Stunden, nachdem ich ihm von unseren Plänen erzählte,
reiste er schon ab. Er sagte, um die Dienstboten von unserem Kommen zu unterrichten.“
„Und Gott
weiß, weswegen noch“, sagte Justin nickend. „Ich werde ihm nach
Möglichkeit aus dem Weg gehen.“
„Danke,
Justin. Die Sorge wenigstens bin ich los. Und jetzt muss ich hinaufgehen und
mit Lydia sprechen.“
„Hältst du
das für klug? Wie sie sagte, ist sie sich doch sicher, dass Flynn sich irrte.
Natürlich haben seine Worte sie verletzt. Aber wie durcheinander wird sie erst
sein, wenn sie denkt, dass sie ahnungslos in eine Verschwörung verstrickt
ist?“
„Davon
werde ich ihr nichts sagen. Letztlich könnten wir beide, du und ich, uns
irren.“
„Ah, du
tust mir weh. Du magst dich irren, ich hingegen bin meistens im
Recht. Und da ich mit deinen Folgerungen übereinstimme, stehen die Chancen
gut, dass Flynn tatsächlich von deinem Onkel geschickt wurde, um deine
knospende Romanze mit der lieblichen Lydia zu stören.“
„Weil ich
ihr nicht erzählt habe, dass Fitz sich vor der Schlacht monatelang mit einem
Gutteil der Brüsseler Dämchen amüsierte? Ich sah sie um ihn trauern, sah ihr
Leid und wusste die ganze Zeit über, dass er untreu war?“
„Du
Schurke.“ Justin schüttelte in gespieltem Entsetzen den Kopf. „Aber sie
hätte dir sowieso nicht geglaubt, hätte dich vielleicht zum Teufel geschickt.
Meine Güte, ehrenhaft zu sein bringt einem nur Ärger ein, egal, wie man
handelt. Ich sollte wirklich nie der Moral anhängen.“
„Die Sorge
habe ich bei dir sowieso nicht, dazu genießt du deinen Status als schwarzes Schaf
viel zu sehr.“
„Danke.
Vergaß ich etwa, darauf hinzuweisen, dass ich, sollte die liebe Lady Lydia eine
Abneigung gegen dich fassen, bereitstehe, um sie zu trösten? Wenn du es bitte
erwähnen würdest, wenn sie dir den Laufpass gibt?“
„Ich
versuche, daran zu denken. Und wenn du mich nun entschuldigen willst, ich
mache mich auf, um ehrenhaft zu sein.“
„Ich
weiß“, seufzte Justin, „ein netter Abend derart verschwendet.“
Die Uhr in
der Eingangshalle des Gasthofs schlug zehn, als Tanner die Treppe zu Lydias
Zimmer erklomm. Als er den Gang entlangging, schloss Jasmines Zofe die Tür zum
Zimmer ihrer Herrin hinter sich. Sie trug ein Tablett voller Geschirr. „Darf ich?“,
fragte Tanner und hob gleichzeitig das Tuch an, das darüber gebreitet war.
Angesichts der leer gegessenen Teller lächelte er. Anscheinend hatte Jasmine
ihren Missmut überwunden. „Wie ich sehe, hat Miss Harburton ihren gesegneten
Appetit wiedererlangt, Mildred.“
„Ja, Euer
Gnaden“, erwiderte die Zofe und knickste. „Sie liegt schon im Bett, so gut
wie eingeschlafen.“
„Danke,
Mildred. Ich denke, du möchtest nun auch in dein Bett. Die Herreise war
lang.“
„Ja, Euer
Gnaden.“ Wieder knickste die Zofe, dann eilte sie die Stufen hinab.
Tanner
klopfte sachte an die Tür, fragte sich aber dennoch, ob Lydia etwa schon wie
Jasmine zu Bett gegangen war. Hatte er seinen Besuch zu lange aufgeschoben?
Die Tür
öffnete sich jedoch in ihr Zimmer, das dunkel war bis auf das Licht vom Kamin
und ein paar wenige Kerzen, und Lydia trat auf die Schwelle. Sie trug einen
jungfräulich weißen Morgenmantel mit einer Rüschenborte am Ausschnitt, und ihr
liebliches blondes Haar fiel ihr lose über die Schultern. Da Tanner seinem
Körper nicht trauen konnte, hielt er seinen Blick fest auf ihr Gesicht
geheftet. „Verzeihung; ich hatte mit ... mit dir über das Geschehen beim Dinner
sprechen wollen, aber mir scheint, es ist zu spät geworden?“
„Äh, ...
nein, bleib ruhig“, sagte sie und trat zur Seite. „Ich ... eigentlich habe
ich auf dich gewartet, habe gehofft, dass du
Weitere Kostenlose Bücher