Kasey Michaels
den körperlichen
Kontakt. Und das spürte auch sie. Wie selbstverständlich schlang sie ihm die
Arme um den Nacken und legte den Kopf an seine Schulter.
Natürlich
begehrte er sie, doch seine Sorge um sie, seine Liebe zu ihr waren so
überwältigend, dass er im Moment nur einen Gedanken hatte – sie in ihrem
Schmerz zu trösten.
Warm und
nachgiebig schmiegte sie sich an ihn, zeigte ihm, wie sehr sie ihm vertraute,
sich auf ihn verließ, sich sicher fühlte bei ihm. Trotzdem hatte er keine
schlüssigen Antworten für sie. Die lagen bei einer höheren Instanz.
„Bei
Waterloo habe ich so viele gute Freunde verloren, Männer, die mir wie Brüder
waren. Nicht nur ich, auch Rafe und Justin mussten diese traurige Erfahrung
machen. Es war die Hölle, so viele sterben zu sehen und selbst zurückzubleiben.
Aber wir genesen, Lydia“, flüsterte er an ihrem Ohr. „Mit jedem
vergangenen Tag mehr. Wir lernen langsam wieder zu leben, vergessen das
Schlimme und erinnern uns an das Gute. Nur so können wir den Mut finden, unser
Herzen erneut zu öffnen.“
„Das will
ich so sehr“, hauchte sie, so leise und zögerlich, dass er den Atem
anhalten musste, um sie hören zu können. „Aber dann, auf dem Ball und auch
heute Abend ... als ich dachte, dir könnte etwas zustoßen, spürte ich wieder
nur, dass ich am liebsten fortgeschlüpft wäre. Ich weiß nicht ... ach, Tanner,
ich weiß nicht, ob ich es wagen kann, mein Herz erneut zu öffnen. Ich bin ein
Feigling, nicht wahr?“
Tanner
schloss die Augen, denn darin brannten Tränen. Wusste sie, was sie da gerade
eingestand?
Sein
Frohlocken darüber, dass sie ihn womöglich liebte, wurde jedoch überschattet
durch die Erkenntnis, was diese Liebe bedeutete.
Bisher war
sein Gedanke nur gewesen zu lieben, Lydia zu lieben. Dass auch sie ihn lieben
könnte? Daraus ergaben sich Verantwortlichkeiten, die ihm bisher nicht bewusst
geworden waren.
Er drückte
einen Kuss auf ihr seidiges Haar. „Ich würde dir niemals wehtun.“
„Das hast
du mir immer beteuert, und ich weiß, du meinst es auch. Aber irgendwie ist es
unvermeidlich, anderen Menschen wehzutun ... und besonders, wenn einem ein
bestimmter Mensch ... etwas bedeutet.“
Eine Weile
schwiegen sie, und das einzige Geräusch kam von einem brennenden Scheit im
Kamin, das knisternd und krachend zerbarst. Er hielt ihre Hand in der seinen
und rieb sie sanft, während sie ihren Kopf vertrauensvoll an seine Schulter
drückte.
Keine
Leidenschaft, nur zwei Menschen einträchtig beisammen. Gut aufgehoben
beieinander. Vielleicht ein wenig ängstlich ... aber zusammen. Und das war
gut. Er war bereit, sich an ihr zu orientieren, es langsam anzugehen. Erst
einmal genügte es ihm, sie festhalten zu dürfen, sie wissen zu lassen, dass sie
bei ihm in guter Hut war.
Er drückte
ihre Hand. „Hättest du Flynn tatsächlich eins übergezogen, wenn er mir zu nahe
gekommen wäre?“
„Nun lachst
du mich aus.“
„Nein,
nein, na ja, vor allem male ich mir aus, wie verstimmt Justin dreingeschaut
hätte wegen der Delle in seinem kostbaren Silber.“ Er spürte, wie Lydias
Schultern zuckten, dann löste sie sich ein wenig von ihm, stemmte ihre Hände
gegen seine Schultern und lächelte ihn an. „Er wäre entgeistert gewesen,
nicht wahr?“
„Entgeistert
und sicherlich äußerst gespannt. Nicht sprachlos, das käme bei ihm nicht vor.
Aber es wäre bestimmt lustig gewesen. Fast ist es ein Jammer, dass Flynn sich
davongemacht hat, sonst könnte ich ihn herschaffen, damit du ihm doch noch eins
aufs Haupt geben kannst.“
„Doch, ich
hätte es getan! Ich war selbst ein bisschen verblüfft, dass es mich so sehr
drängte, ihn zu schlagen. Bisher hatte ich nie Verständnis für körperliche
Gewalt, deshalb erschreckt es mich so, dass mir Gewaltanwendung
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