Kassandra Verschwörung
Ihr Auto hatte sie vor einem herrschaftlichen Wohnhaus in einer Straße hinter der Westminster Cathedral abgestellt und einen Parkschein für drei Stunden hinter die Windschutzscheibe gelegt. Drei Stunden war die Höchstparkdauer. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, ein weiteres Auto zu knacken und einen Anwohnerparkausweis zu stehlen, um ihn hinter die Windschutzscheibe des Alfa Romeos zu legen. Doch jede Politesse, die etwas auf sich hielt, würde das Kennzeichen mit den Angaben des Parkausweises vergleichen.
Sie hatte jetzt eine Kassette in ihren Walkman eingelegt: ein Ohm-Mantra, das mit einem menschlichen Herzschlag unterlegt war und ständig wiederholt wurde. Die Klänge beruhigten sie, während sie zurück zum Auto ging, einstieg und unter dem Beifahrersitz ihre Beamtenaktentasche und eine grüne Tragetasche von Harrods hervorzog. Sie sah sich nach allen Seiten um, öffnete die Aktentasche, schaute hinein und schien zufrieden mit dem, was sie darin fand. Die von ihr favorisierte Pistole war eine in Italien hergestellte Neun-Millimeter-Beretta 92F, eine Reminiszenz an ihre Zeit in Bologna als Mitglied von Croix Jaune. Das erste Mal hatte sie während der Gibson-Entführung eine Beretta in der Hand gehalten. Mein Gott, damals war sie die Einzige gewesen, die mit einer Waffe umgehen konnte. Sie hatte die anderen praktisch unterweisen müssen. Aber immerhin hatten sie es trotz der plumpen Falle, die man ihnen stellte, geschafft, mit dem Lösegeld zu entkommen. Das Geld hatte sich als sehr nützlich erwiesen …
Sie nahm die Pistole aus der Aktentasche und steckte sie in ihre Jacke. Sie hatte dort eine Extratasche eingenäht, die nur lose an zwei Bändern hing. Es war wirklich erstaunlich, wie oft die Polizei Gepäckstücke durchsuchte, aber auf eine Leibesvisitation verzichtete. Sie hatte so ein Gefühl, als ob das in diesen Tagen auch im Wirtschaftsministerium der Fall sein würde.
Sie schloss die Aktentasche wieder und stieg aus dem Auto. Diesmal nahm sie die Aktentasche und die Tragetasche mit. Sie hatte noch ein bisschen Zeit totzuschlagen. Im Vorbeigehen fielen ihr die Männer auf, die vor den Gebäuden an der Victoria Street herumlungerten, vor allem vor dem Hauptsitz des Wirtschaftsministeriums. Das war zu erwarten gewesen. Sie betrat einen kleinen Supermarkt und kaufte zwei frische Hühner, zwei abgepackte Sandwiches und eine große Dose billigen Instantkaffee. Anschließend ging sie zur Victoria Station und schloss sich in einer Toilettenkabine ein. Irgendwann klopfte eine Klofrau an die Tür und fragte, ob alles in Ordnung sei.
»Alles bestens«, antwortete die Hexe. »Ich muss gestern Abend ein verdorbenes Currygericht gegessen haben.«
Die Klofrau kicherte und ging weg. Die Hexe betätigte die Toilettenspülung und verließ die Kabine. Die Klofrau, eine kleine braunhäutige Person, erwartete sie.
»Tut mir leid«, sagte die Frau, »aber wir müssen vorsichtig sein. Was hier alles für Leute reinkommen... Fixerinnen, die sich ihre Spritze setzen und so, Sie wissen schon.«
»Verstehe«, entgegnete die Hexe, während sie sich die Hände wusch. »Man sollte immer aufpassen, wie Sie schon sagten.«
Sie lief die Parallelstraße zur Victoria Street entlang, wo ihr Auto parkte und wo sich der Hintereingang zum Gebäude Victoria Street Nummer 45 befand. Vor der Tür stand ein Wachposten mit einem Hund. Der Hund bellte, als sie näher kam, stellte sich auf die Hinterbeine und veranlasste den Wachmann, die Leine strammzuziehen.
»Alles in Ordnung«, sagte er zu ihr.
»Ich habe Hühner gekauft«, erklärte sie.
»Das wird es wohl sein. Nicht dass er nicht genug zu fressen bekäme.«
Sie ging an ihm vorbei, war absolut gelassen. Es gab nichts, weswegen sie beunruhigt hätte sein müssen. Sie war eine Regierungsbeamtin, sie ging diesen Weg jeden Tag. Sie musste sich über nichts Sorgen machen. Sie betrat das Gebäude und zeigte dem Wachposten, der vor dem Tresen im Eingangsbereich stand, ihren Sicherheitsausweis. Er sah ihn sich etwas aufmerksamer an als sonst und bedankte sich.
»Ich vergesse selten ein hübsches Gesicht«, sagte er.
»Normalerweise komme ich immer durch den Vordereingang«, erklärte sie, »aber da ist heute ja die Hölle los.«
»Kann ich mir vorstellen.«
Die Hexe steckte den Ausweis wieder in ihre Tasche. Da sie wusste, dass die Polizei auf der Suche nach der armen, verhungernden Christine war, hatte sie den Namen auf Christine Jones Sicherheitsausweis in Caroline James
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