Kassandra Verschwörung
bleiben würden. Dann verkündete sie, dass sie mal kurz in ihr Zimmer verschwinden müsse, um sich umzuziehen. Barclay wurde aufgefordert auf dem großen federnden Sofa Platz zu nehmen, was ihn unangenehm an die nicht vorhandene Federung des 2CV erinnerte.
»Leisten Sie Mama ein bisschen Gesellschaft, okay?«, fragte Dominique auf Englisch. »Ich brauche nicht lange. Oh, und falls sie Ihnen etwas von ihrem Calvados anbieten sollte... lehnen Sie ab.«
Mit diesen Worten war sie verschwunden. Madame Herault, die immer noch stand, fragte ihn, ob er etwas trinken wolle. Er wollte eigentlich nichts, nickte aber trotzdem, da es ihm lieber war, dass Madame Herault ihm etwas zu trinken holte, als dass sie dasaß und von ihm erwartete, Konversation mit ihr zu betreiben. Dann erinnerte er sich an die Warnung bezüglich des Calvados.
»Pastis, s’il vous plaît« , sagte er.
Aber ein Drink sei doch nicht genug. Er wolle bestimmt auch eine Kleinigkeit essen, nicht wahr? Barclay schüttelte den Kopf und klopfte sich auf den Bauch.
»Complet« , sagte er und hoffte, dass es das richtige Wort war.
Sie insistierte, aber er blieb hart. Nein danke, nur ein Drink, den nehme er gerne.
»Calvados?«, fragte Madame Herault.
Barclay schüttelte den Kopf. »Pastis, s’il vous plaît« , wiederholte er.
Also ging sie, um ihm einen Pastis zu holen. Er atmete tief ein und aus und wies sich lächelnd dafür zurecht, welche Absichten er Dominique zunächst unterstellt hatte. Das Zimmer wirkte behaglich altmodisch und strahlte eine für Barclays Empfinden speziell französische Art vornehmer Dekadenz aus. Die Accessoires waren übertrieben protzig, die Möbel zu klobig. Die Frisierkommode war riesig und hätte eher in die Empfangshalle eines Schlosses gepasst als in eine Pariser Wohnung im zweiten Stock. Er fragte sich, wie sie das Monstrum wohl in das Zimmer gekriegt hatten. Die Antwort lag nahe: durch eines der großen Fenster. Mit einem Flaschenzug von der Straße. Genau.
Mein Gott, dachte er, was tue ich hier? Ich hätte im Auto warten sollen. Sie hat mich doch zum Narren gehalten, oder? Sie hätte ihm schließlich sagen können, dass es die Wohnung ihrer Mutter war und dass die zu Hause sein würde. Sie hatte ihn gefoppt. Kleines Miststück.
Madame Herault kam mit einem Tablett zurück. Barclay hatte sich vom Sofa erhoben und betrachtete ein paar auf dem Klavier stehende gerahmte Fotos. Eins zeigte einen Mann in einer Polizeiuniform.
»Mon mari« , erklärte Madame Herault. »Il est mort.«
Sie stellte das Tablett auf eine Fußbank. Auf dem Tablett stand ein langes, schlankes Glas, das zweieinhalb Zentimeter Pastis und einen Eiswürfel enthielt. Daneben befanden sich ein Krug Wasser und eine Untertasse mit trockenen Keksen. Sie schwenkte den Krug und verdünnte den Pastis mit Wasser, bis er stopp sagte. Dann reichte sie ihm das Glas, griff nach dem Foto und erzählte ihm eine lange Geschichte, von der Barclay die meisten relevanten Fakten zu verstehen glaubte. Monsieur Herault hatte bei der Pariser Polizei als Kriminalbeamter gearbeitet und war vor zehn Jahren bei der Explosion einer von Terroristen gelegten Bombe getötet worden. Er hatte geholfen, Kunden aus einem Kaufhaus zu evakuieren, für das es eine Bombendrohung gegeben hatte. Doch die Bombe war vorzeitig hochgegangen …
Sie lächelte feierlich und nahm ein anderes Foto in die Hand, auf dem ein strahlendes Schulmädchen zu sehen war.
»Dominique«, erklärte sie überflüssigerweise. Barclay nickte. Sie sah ihn an. »Très belle.« Er nickte erneut. Da ihm nichts einfiel, was er hätte sagen können, nippte er an seinem Drink. Himmelherrgott, war das Zeug stark! Er nahm einen Keks, um den Geschmack zu übertünchen. Doch der Keks zerbröselte in seiner Hand und rieselte wie Staubregen nach einer Bombenexplosion zu Boden.
Madame Herault entschuldigte sich und kniete sich hin, um die Brösel aufzusammeln, doch Barclay war bereits dabei, ihr diese Arbeit abzunehmen.
Das war die Szenerie, die Dominique vorfand, als sie das Zimmer wieder betrat. Als er die Krümel mehr oder weniger alle aufgelesen hatte, erhob sich Barclay und half Madame Herault ebenfalls auf die Beine. Dominique hatte jetzt einen knielangen Rock an. Ihre Beine waren, wie Barclay in der nur schwach beleuchteten Wohnung erkennen konnte, gebräunt und glatt. Sie hatte sich eine Jacke über die Schulter geworfen, trug eine adrette weiße Bluse und eine Kette mit einem kleinen goldenen Kreuz.
»Schon
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