Kastell der Wölfe
schön sagt.«
»Kann ich mir denken. Aber es war für mich kein Zufall, dass dieser halbwilde Junge zu Archie gekommen ist.«
»Ein Kind, das vielleicht in Archies Alter ist und nicht sprechen konnte.«
»So ist es.« Don nickte. »Dafür hat er gemalt. Er zeichnete so etwas wie eine Burg mit mehreren Türmen.«
»Einfach so?«
»Ich gehe mal davon aus, dass er sie kennt.«
»Vielleicht ist er von dort gekommen?«, schlug Esther vor. »Er riss aus, weil man ihn gefangen hielt.«
»Auch das kann sein.«
»Und was unternehmen wir jetzt?«, fragte sie mit leiser Stimme. »Bitte, was sollen wir tun?«
Donald warf seiner Frau einen langen Blick zu. Er hatte im Moment auch keine Ahnung, was sie unternehmen sollten.
Nach einer Weile sagte Esther: »Ich finde, dass wir die Polizei einschalten müssen.«
»Und dann?«
»Sie wird...« Esther stockte. »Nein«, korrigierte sie sich selbst. »Sie wird gar nichts. Man wird uns möglicherweise auslachen, das ist dann alles.
»Das glaube ich nicht. Tony Wilson ist Zeuge, und ich denke, dass man ihm glauben wird.«
»Kann sein. Fragt sich nur, was die Polizisten unternehmen werden oder können.«
»Keine Ahnung«, gestand Don May ein.
»Es gibt kein Verbrechen!«
Da hatte Esther Recht. Es gab auch keine normale Entführung. Die Wölfe hatten sich das zurückgeholt, was ihnen gehörte. Jedenfalls ihrer Ansicht nach.
»Wichtig ist unser Kind, Don. Es geht um Archie«, sagte sie eindringlich. »Und für unsere Polizisten hier ist der Fall zu groß.«
»Wen willst du dann einschalten, wenn überhaupt.«
»Scotland Yard?«
»Oh.«
»Ja, Don. Ich habe das Gefühl, dass das Erlebnis der letzten Nacht erst der Anfang gewesen ist. Da kann noch etwas nachkommen.«
»Glaubst du nicht, dass man uns dort auslachen wird, wenn wir mit dieser Geschichte kommen?«
»Kann sein.« Sie trank ihr Glas leer. »Wir könnten auch die Presse einschalten.«
»Und warum gerade sie?«
»So machen wir dem Yard Druck. Dort lesen die Leute schließlich auch Zeitungen.«
Donald May dachte nach. »Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist«, murmelte er schließlich.
»Wir können es uns noch überlegen. Da eilt ja nichts, so sehe ich das inzwischen.«
Don May nickte langsam. »Was ist eigentlich mit Archie? Hast du mal nach ihm geschaut?«
Esthers Augen bekamen einen warmen Glanz. »Klar habe ich das gemacht. Noch kurz bevor du gekommen bist. Er liegt in seinem Bett und schläft tief und fest.«
»Sehr gut.«
»Willst du auch mal nach ihm sehen?«
»Das hatte ich soeben vor«, sagte Donald mit einem Lächeln.
»Gut, ich begleite dich.«
Die beiden verließen die Küche. Esther fasste nach der Hand ihres Mannes. Sie brauchte jetzt seine Nähe. Obwohl beide nicht darüber sprachen, hatten sie jedoch das Gefühl, dass noch einiges auf sie zukommen würde...
***
Direkt hinter dem Eingang der Gastwirtschaft war ein großes gerahmtes Foto auf eine Staffelei gestellt worden. Das Bild zeigte einen lachenden Mann in Pilotenuniform, der neben seiner Maschine stand und dabei stolz auf den alten Doppeldecker zeigte, den er bei Flugschauen vorgeführt hatte.
Das Bild hätte perfekt sein können, auch weil es einen gewissen Optimismus ausstrahlte. Nur war es leider nicht perfekt, denn im rechten oberen Winkel hing ein Trauerflor.
Der Pilot weilte nicht mehr unter den Lebenden. Er war nicht mit dem Flugzeug abgestürzt, sondern eine lange Scherbe hatte ihm die Halsschlagader durchtrennt!
Doch das hatte er nicht einem Killer zu verdanken, sondern einem Unwetter, das mit extremer Wucht in London eingefallen war. Es hatte Verletzte gegeben und zwei Tote.
Einer davon war Rick Darwin gewesen. Er hatte das Pech gehabt, bei einer Sturmbö zu nahe an einer großen Schaufensterscheibe gewesen zu sein. Der Wind hatte sie zerplatzen lassen und die langen Splitter in alle Richtungen geschleudert.
Einer dieser langen Splitter hatte Rick Darwin die Halsschlagader durchtrennt.
Da er als Pilot sowieso recht gefährlich lebte, hatte Rick in jungen Jahren bereits sein Testament gemacht. Er hatte darin festgelegt, in seinem Heimatort begraben zu werden. Einem kleinen Kaff nördlich von Brighton.
Es war eine recht große Beerdigung gewesen. Wenige Verwandte nur, aber zahlreiche Freunde und Bekannte aus Fliegerkreisen hatten den Trauerzug gebildet.
Unter anderem gehörten auch Bill Conolly und ich dazu. Wir beide kannten Rick Darwin noch aus anderen Zeiten, als wir fast jeden Tag in die Uni marschiert
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