Kastell der Wölfe
erforderten auch besondere Maßnahmen. Es gab zwar keinen hundertprozentigen Schutz gegen die Wölfe, doch sie im Stall zu lassen war immer noch besser als im Freien...
Augenblicke später brachen seine Gedankengänge ab. Er hatte seine Blickrichtung nicht gewechselt und sah plötzlich etwas, das noch weit entfernt war, sich ihm allerdings näherte.
Bewegungen von Tieren. Recht großen Tieren sogar. Das waren Hunde – oder doch nicht?
Der Schäfer wurde von Unsicherheit erfasst. Er wünschte sich jetzt die Augen eines Falken.
Ein Fernglas lag ebenfalls in seiner Karre. Er musste es nur aus dem Rucksack holen. Mit dem Glas in der Hand ging er einige Schritte zur Seite und blieb dort stehen, wo er den besten Ausblick auf die Szenerie besaß.
Eilig stellte er die Sicht scharf. Es waren tatsächlich Wölfe. Vier natürlich, wobei er beim ersten Hinsehen ohne Glas nur drei bemerkt hatte. Offenbar war noch ein Nachzügler zu der kleinen Gruppe gestoßen.
Dass er die Wölfe zu Gesicht bekam, betrachtete er noch immer als Phänomen. Da gab es noch ein zweites, und das wiederum kam ihm noch unglaublicher vor. Die Wölfe waren nicht allein unterwegs. Sie hatten sich jemanden geholt, der sie begleitete.
Es war ein Kind, ein Junge!
Frank musste schlucken. Er glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Im Hals entstand plötzlich ein Kratzen. Hastig setzte er das Glas ab und wischte über seine Augen.
Tief sog er den Atem ein und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Er drückte sich das Glas erneut vor die Augen und erkannte, dass er sich nicht geirrt hatte. Vier Wölfe und das Kind waren dabei, den breiten Hang hochzugehen.
Einen Weg gab es dort nicht mehr, wo sie gingen. Sie mussten schon querfeldein laufen. Frank erkannte, dass der Junge von den Wölfen stets angeschoben werden musste, um die Spur zu halten. Die Lauferei schien ihn erschöpft zu haben.
Am Hang lag das Ziel sicherlich nicht. Sie würden hoch bis zur Kuppe gehen und dort verschwinden. Als Frank daran dachte, rann eine Gänsehaut über seine Arme. Er wusste, was dahinter lag. Nicht nur ein großes Stück menschenleerer Landschaft, sondern auch ein verbotenes Gelände – beziehungsweise eines, das von den Menschen gemieden wurde, weil sich viele Geschichten darum rankten. Der Schäfer war noch zu neu in der Gegend, um sie alle zu kennen.
Er beobachtete den kleinen Tross weiter. Nicht mehr lange, dann würden sie den Kamm des Hanges erreichen und auf der anderen Seite sehr schnell verschwinden.
Plötzlich stolperte der Junge. Ob vor Schwäche oder über einen Stein, das war nicht zu sehen. Er fiel nach vorne und fand nicht mal die Kraft, sich wieder aufzurichten.
Dafür griffen die Wölfe ein. Für den Beobachter sah es so aus, als wollten sie zubeißen. Aber es sah wirklich nur so aus. Tatsächlich packten sie mit ihren Gebissen nur die Kleidung und zerrten den Jungen wieder hoch.
Sofort ging es weiter. Das Kind taumelte. Es verlor immer mehr an Kraft, aber die Wölfe trieben es weiter. Bald hatten sie die Strecke hinter sich gelassen.
Zuletzt sah es aus, als hätte der Junge noch einen kräftigen Stoß bekommen, dann war er nicht mehr zu sehen, und Frank stand da, ohne sich zu bewegen.
Frank hatte kaum bemerkt, dass ihm die Arme mit dem Fernglas nach unten gesunken waren. Sein Blick war weiter nach vorne gerichtet, ohne dass er etwas wirklich sah. Dafür war sein Kopf mit Gedanken erfüllt, die nicht eben in eine positive Richtung wiesen.
Auch die Schafe hatten die Nähe der Wölfe gewittert. Sie waren nicht geflohen, doch ihr Blöken hörte sich für einen Kenner wie Frank schon besorgt an.
»Verdammt!«, flüsterte er und strich sich dabei den Schweiß aus dem Gesicht. »Was mach ich nur?«
Er wusste es nicht. Er hätte die Wölfe und den Jungen auch verfolgen können, doch danach stand ihm nicht der Sinn. Er fürchtete sich vor der Verantwortung. Klar, er hätte auch die Polizei anrufen können. Leider war der Akku seines Nothandys leer, und so stand er weiterhin da wie ein begossener Pudel.
Er zitterte. Die Sonne würde bald untergehen und der Dunkelheit weichen. Aber was geschah dann? Was würde mit dem Jungen werden. Er wusste keine Antwort. Zudem ließ seine innere Angst auch keine zu. Es war alles verdammt verzwickt geworden.
Aber tun wollte er etwas! Er konnte den Jungen nicht in der Gewalt der Wölfe lassen, auch wenn diese ihm offenbar nichts angetan hatten. Wer sagte denn, dass dies auch so bleiben würde?
Als gab es nur eine
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