Kastell der Wölfe
zurück. Es bewegte die Arme von unten nach oben. Es war eine Geste, die Archie verstand – er sollte natürlich aufstehen –, sie aber noch nicht in die Tat umsetzte. Er fühlte sich einfach zu schwach, musste erst wieder richtig zu Atem kommen, damit er sich erheben konnte.
Die Geste des anderen Jungen war eindeutig. Er hatte von Archies Problemen genug mitbekommen, um zu wissen, wie es um ihn stand. Deshalb streckte er ihm die Hände entgegen.
Archie nahm sie. Ein gutes Gefühl durchströmte ihn, als die Hände des Jungen seine Gelenke umfassten. Er hatte den richtigen Halt gefunden, und dann wehrte er sich auch nicht dagegen, in die Höhe gezogen zu werden.
Er musste auf die Beine kommen. Das Wasser hatte ihm wieder etwas Kraft gegeben. Er blieb stehen. Zitternd zwar, aber es war ihm möglich, sich auf den Füßen zu halten.
Wieder holte er tief Luft. Ihm wurde schwindlig, was auch der fremde Junge merkte. Er hüpfte auf ihn zu, hob die Arme etwas an und krallte sich mit den Händen an Archie May fest, der durch den Druck zwar leicht schwankte, aber trotzdem auf den Beinen blieb.
Archie schaute nach unten. Er sah seinen neuen Freund in dessen ungewöhnlicher Haltung hocken und nickte ihm zu. Es geschah aus einem Gefühl heraus. Er wollte, dass der Nackte etwas Bestimmtes tat, und mit dem Kopf deutete Archie an, dass er nicht nachlassen sollte.
Der Wolfsjunge zog sich hoch, fasste mit den Händen nach. Höher und höher griff er. Die Tierhaltung verließ er und richtete sich auf wie ein Mensch, der auf zwei Beinen ging.
Archie schaute in das Gesicht seines namenlosen Freundes. Und er merkte, dass der fremde Junge größer war als er. Bisher hatte er ihn nur als klein erlebt, nun aber stellte er fest, dass der Andere sogar auf ihn herabschaute.
Und er lächelte.
Es musste für ihn wirklich etwas Besonderes sein, sich hinstellen zu können. Möglicherweise hatte er all die Menschen beneidet, die auf zwei Beinen gingen, und zum ersten Mal erlebte er dieses Gefühl.
Bisher hatte er nur gelächelt, jetzt fing er sogar an zu lachen. Diese Laute hörten sich ganz normal an, als würde Archie anfangen zu lachen. Es steckte einen wilde Freude in ihm, und auch Archie vergaß, in was für einer Lage er sich befand.
Er lachte mit! Er riss den Mund auf. Er fühlte sich super. Ihm war so wohl, so gut wie lange nicht mehr.
Plötzlich merkte er, dass sich sein neuer Freund kaum noch auf den Beinen halten konnte und deshalb nach vorn kippte. Da hielt er ihn schnell fest.
»Das ist ja toll«, rief Archie. »Du kannst richtig stehen. Jetzt bist du fast schon ein richtiger Mensch...«
Der Wolfsjunge hatte zugehört. Es sah so aus, als würde er die Worte in sich aufsaugen. Und er versuchte sogar, Archie nachzuahmen. Er wollte sprechen, was er nicht schaffte. Als er den Mund bewegte, drangen nur unartikulierte Laute hervor.
»Komm mit!«, drängte Archie. »Komm mit zu mir! Wir gehen wieder zurück!«
Auch jetzt hörte das Wolfskind zu. Nur begriff es nicht, was gemeint war.
»Bitte, komm doch...« Archie begriff mittlerweile, dass er den Jungen auf eine andere Art und Weise überzeugen musste. Er zog ihn in die entgegengesetzt Richtung, damit er Bescheid wusste.
Der leichte Druck reichte aus, um ihn stolpern zu lassen. Wieder fiel er auf Hände und Füße zurück und blieb auch in der Haltung, wobei er den Kopf in den Nacken legte und zu Archie hochschaute.
Archie May überlegte. Er musste sich etwas einfallen lassen. Jedes Kind besaß einen Namen. Jeder Erwachsene auch, und deshalb hatte er sich entschlossen, auch seinem neuen Freund einen Namen zu geben. »Bully! Du heißt Bully. Ich nenne dich Bully.«
Es war der Name, mit dem ihn seine Eitern angesprochen hatten, als er noch klein gewesen war. Archie wusste nicht, woher der Spitzname gekommen war, aber er hatte ihn behalten, und so wollte er seinen neuen Freund nennen.
Der Wolfsjunge blickte ihn weiterhin an und runzelte die Stirn. Ebenfalls eine sehr menschliche Regung. Fragend sogar, und es kam Archie in den Sinn, den Namen mehrmals zu wiederholen.
»Du bist Bully – Bully!« Er deutete dabei mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den Wolfsjungen.
Dieser hörte genau zu. Er senkte den Kopf etwas, und dabei bewegte er den Mund.
Einen Moment später glaubte Archie, seinen Ohren nicht trauen zu können. Er hörte den von ihm eben ausgesuchten Namen überdeutlich.
»Bully...«, sagte der Wolfsjunge.
»Ja, ja, ja!« Archie wies mit dem Zeigefinger auf
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