Kastner, Erich
einen in Berlin erwartet!« Er lachte. »So eine romantische norddeutsche Kleinstadt spricht eben doch mehr zum Herzen.«
»Vivat, crescat, floreat!« behauptete der Krefelder Fabrikant.
»Zweifellos«, sagte Herr Professor Horn. »Et pereat mundus!« Er lüftete den Hut und trat in den Gang hinaus.
Kurz darauf hielt der Zug. Der Herr Professor stieg aus, verließ den Bahnhof und schlenderte durch die Villenstraßen. Später winkte er einem Taxi, kletterte hinein und sagte zum Chauffeur: »Hotel Blücher!«
Er lehnte sich in den Fond zurück und dachte: Steinhövels Leute sind verschwunden. Die Polizei hat uns nicht behelligt. Was soll das heißen?
Auf seinen Knien lag der Koffer. Er betrachtete ihn aufs zärtlichste und schien zufrieden.
Das Hotel Beringer in Warnemünde liegt an der schönen breiten Strandpromenade und dicht am Leuchtturm, der sich vor der langgestreckten steinernen Mole erhebt.
In diesem renommierten Gasthof waren soeben drei neue Gäste abgestiegen. Sie hatten drei nebeneinanderliegende Zimmer genommen und trafen sich, nachdem sie sich von dem sprichwörtlich gewordenen Reisestaub befreit hatten, in der Hotelhalle.
»Da wären wir denn!« stellte Rudi Struve fest. »Ich habe davor gewarnt, auszusteigen. Sie haben es trotzdem getan. Was machen wir nun?«
»Einen Ausflug«, schlug Irene Trübner vor.
»Der Fehler liegt an mir«, sagte Fleischermeister Külz. »Ich habe mich albern benommen. Zugegeben. Doch es gibt nun einmal Fälle, wo ich rot sehe. Ich bin wirklich, ohne mich loben zu wollen, eine Seele von Mensch. Aber was zuviel ist, ist zuviel.«
»Nun machen Sie sich, bitte, keine Vorwürfe, Papa Külz! Herr Struve sieht Gespenster. Unsere Räuberbande ist sicher heilfroh, daß sie Ihnen die Miniatur gestohlen hat. Und sie wartet bloß darauf, in Berlin untertauchen zu können.«
»Ganz wie Sie wünschen«, erklärte Rudi Struve höflich.
Irene Trübner blickte froh zum Hotelfenster hinaus. »Hier bin ich, hier bleib ich. Morgen fahren wir mit dem ersten Zug nach Berlin.
Das ist früh genug.« Sie wandte sich an den jungen Mann. »Oder werden Sie in Berlin erwartet?«
»Höchstens von meiner Wirtin«, sagte er. »Sie hat sicher Angst wegen der Miete. Im übrigen bin ich ein völlig alleinstehender Waisenknabe. Ohne Weib und Kind.«
Die junge Dame beeilte sich, das Thema zu wechseln. »Lieber Herr Külz, ich habe eine Bitte an Sie.«
»Schon erfüllt!« sagte er.
»Rufen Sie Ihre Gattin an!« bat das Mädchen. »Seit Sonntag ist Ihre Familie in Unruhe. Niemand weiß, wo Sie sind. Die Ansichtskarte haben Sie in Kopenhagen liegenlassen. Ich kann das nicht länger mit ansehen.«
Külz zog eine Grimasse.
»Wenn Sie nicht telefonieren, tue ich’s«, sagte sie und wollte sich erheben.
»Bloß nicht!« Külz hob abwehrend die Arme hoch. »Wenn eine junge Dame meiner Frau telefonisch mitteilt, daß ich in Dänemark war und im Ostseebad Warnemünde Station gemacht habe, fahre ich überhaupt nicht wieder nach Berlin!«
»Haben Sie Angst vor Ihrer Frau?« fragte der junge Mann.
»Nein, aber vor den Begleiterscheinungen! Sie kennen meine Emilie nicht. Sonst würden Sie nicht so überflüssige Fragen stellen.
Emilie kann sehr laut sein.«
Irene Trübner blickte ihn abwartend an.
Er erhob sich stöhnend. »Na schön. Was der Mensch braucht, muß er haben.« Nach dieser grundsätzlichen Bemerkung begab er sich ins Hotelbüro und meldete ein Ferngespräch nach Berlin an.
Die beiden jungen Leute waren allein.
»Wo wohnen Sie eigentlich?« fragte Rudi Struve.
»Im Hotel Beringer.«
»Nicht möglich«, sagte er. »Ich meinte allerdings, wo Sie in Berlin wohnen.«
»Ach so. Am Kaiserdamm.«
»So was gibt es?« erklärte er.
»Jawohl.«
»Ich wohne nämlich in der Holtzendorffstraße. Da haben wir’s gar nicht weit zueinander.«
Papa Külz stand trüben Sinns in einer Telefonzelle und wartete mürrisch auf den Anschluß mit Berlin.
In regelmäßigen Abständen rief er: »Hallo, hallo!« Am liebsten hätte er wieder angehängt. Den Krach, der ihn erwartete, konnte er getrost bis morgen aufheben. Er war schon halb entschlossen, den Hörer auf die Gabel zurückzulegen.
Da gab es einen Knacks. Und in Berlin rief jemand: »Hallo? Hier Fleischerei Külz, Yorckstraße!«
»Bist du’s, Emilie?« fragte er.
Er erhielt keine Antwort.
»Hier ist Oskar«, sagte er. »Ich wollte euch bloß mitteilen, daß ich morgen nach Hause komme. Damit ihr euch nicht unnötig sorgt.«
Wieder keine
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