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Kastner, Erich

Kastner, Erich

Titel: Kastner, Erich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die verschwundene Miniatur
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Antwort.
    »Ich war ein paar Tage in Dänemark. Und jetzt bin ich in Warnemünde. Na, das erzähl ich euch alles später.«
    Noch immer keine Antwort.
    Das ist die Ruhe vor dem Sturm, dachte er und suchte neuen Gesprächsstoff. »Wie geht das Geschäft? Und was macht Fritzchens Keuchhusten?« Was konnte er nur noch fragen? Ihm fiel nichts mehr ein. »Hallo, Emilie! Hast du die Sprache verloren?«
    »Oskar«, sagte da seine Frau mit zitternder Stimme, »Oskar, wie konntest du uns das antun?«
    Er traute seinen Ohren nicht. Sie weinte! Auf alles andere war er gefaßt gewesen. Wenn es möglich gewesen wäre, Töpfe und Teller telefonisch zu übermitteln, hätte er eher erwartet, daß ihm Geschirr an den Kopf fliegen würde! Statt dessen weinte seine Emilie? »Aber, aber«, sagte er. Und: »Na, na, du altes Gemäuer.«
    Sie schluchzte hartnäckig weiter.
    »Nun laß schon die Heulerei!« brummte er. Er war selber ganz gerührt. So eine Überraschung! Er hatte gar nicht gewußt, daß seine Frau weinen konnte. Obwohl sie seit fünfunddreißig Jahren verheiratet waren.
    Frau Külz schluchzte, als wolle sie all die versäumten Gelegenheiten nachholen.
    »Laß gut sein«, tröstete er. »Morgen bin ich ja wieder zu Hause.
    Und was soll denn die Kundschaft denken, wenn du verheult hinter der Ladentafel stehst! Halte einen Lappen unters kalte Wasser und lege ihn dir auf die Augen.«
    Sie schneuzte sich und setzte zum Sprechen an. Doch dann besann sie sich und weinte weiter.
    »Ich glaube, im Laden hat’s geklingelt«, behauptete er. »Na, dann leb wohl, Emilie! Also bis morgen, ’n Gruß an die Kinder!« Rasch hängte er den Hörer ein.
    Draußen vor der Telefonzelle blieb er stehen und rieb sich nachdenklich das Kinn.
    Vor zwanzig Jahren hätte ich das schon machen sollen, dachte er.
    Nun ist es zu spät. Jetzt hilft kein Heulen mehr. Dann ging er langsam in die Hotelhalle zurück. Zu dem Tisch, an dem die beiden jungen Leute saßen.
    Um die gleiche Zeit ließ sich ein weißbärtiger Herr vor dem Cafe Flint in Rostock von einem Mann, der dort stand, Feuer geben und sagte: »Storm soll auf der Stelle zwei Mann im Auto nach Warnemünde schicken. Fünf andere müssen hier am Bahnhof alle Züge kontrollieren, die von Warnemünde hereinkommen.«
    »Gut, Chef«. antwortete der Mann.
    »Und wer die drei entdeckt, ruft sofort Professor Horn im Hotel Blücher an! Gehe hinauf und laß dich ablösen. Du fährst mit nach Warnemünde.«
    »Was ist denn los?«
    »Halt’s Maul!« erwiderte Professor Horn, zog höflich vor dem andern den Hut und ging über die Straße.

10. KAPITEL
    SAALPOST IN DER TANZDIELE
    Obwohl es schon gegen Abend war, bestand Irene Trübner auf dem von ihr geplanten Ausflug.
    Sie ließen sich mit der Fähre über die Warnow setzen und fuhren dann mit der Straßenbahn, deren Gleise unmittelbar hinter der Meeresküste durch Moor und Heide laufen, bis nach Markgrafenheide, der Endstation.
    Von hier aus spazierten sie auf einsamen Wegen durch den Wald.
    Es war still wie in einer Kirche, wenn kein Gottesdienst ist. Aber droben über den Wipfeln brauste der Wind, der von der See kam.
    Es ist merkwürdig. Im Wald denkt man mehr als anderswo an seine Kindheit. Damals erschienen einem die Bäume viel, viel höher, als sie waren. Und das Dickicht der Büsche viel, viel undurchdringlicher und unheimlicher als heute. Damals glaubte man noch, daß Rotkäppchen ganz in der Nähe dem bösen Wolf begegnet sein müsse. Und wenn man einem Holzfäller und seiner Frau begegnete, träumte man nachts, man habe die Eltern von Hänsel und Gretel getroffen. Jene Eltern, die ihre beiden Kinder im Walde aussetzten, weil das Einkommen zurückging.
    In diesem Alter sieht man im Wald die Wohnstätte von Elfen und Zwergen. Dann folgen Jahre, da gilt er als Umschlagplatz für heimliche Zärtlichkeiten. Und schließlich kommt die Zeit, da erinnert er einen nur noch an die Bretter, die in Schneidemühlen aus seinen Bäumen fabriziert werden, und daran, daß kein Mensch mehr als vier Bretter benötigt, um wohlverwahrt, wenn auch ohne Fenster, die letzte Reise anzutreten.
    Und immer werden die Wälder rauschen. Und immer wird der Wind leichtfüßig über die Wipfel laufen. – Oh, es wäre viel wert, wenn man an die Seelenwanderung zu glauben vermöchte. Doch wer hat die Kraft dazu?
    Auf einer Wiese dicht am Rande der Heide setzte sich Irene Trübner ins grüne Gras. Dann legte sie sich sogar um und starrte durch das Gitterwerk der Halme und

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