Katagi (Drachenfluch Zweites Buch) (DrachenErde - 6bändige Ausgabe) (German Edition)
sie.
„Eine Seelenkraft genommen, eine Seelenkraft gegeben! Erwache, mein Seelensklave!“
Wie von einem Geisterwind aufgewirbelt, erhob sich die Asche vom Boden. Kleinste Stücke tanzten wie unruhige Mücken durch die Luft.
„Kraft sei mit dir! Die Kraft des Hasses und der Wunsch nach Vergeltung, der unstillbare Drang zu töten und die finsterste Zauberkraft, vor deren Anwendung selbst die Herren von Magus zurückschrecken würden!“ Der Herr des Augenmonds stieß ein schauerliches Gelächter aus, während sich die durcheinander wirbelnden Aschestückchen verdichteten. Immer mehr Asche, Reste verkohlten Gebeins und was sonst noch von dem vierzehnjährigen Jungen und seinem Reittier geblieben war, kreiste in einem Strudel zauberischer Kraft.
Die Gestalt eines wahren Hünen formte sich. Er war um die Hälfte größer als selbst die größten der für ihren kraftvollen Wuchs bekannten Seemannen von Winterland. Die Schultern waren so breit wie die von zwei gewöhnlichen Kriegern, und die dicken Arme endeten in riesenhaften Pranken.
Die Gestalt trug ein Wams und ebensolche Hosen nach Art der Seemannen, nur dass beides so fleckig war, als hätten die Kleidungsstücke monatelang in der Erde oder auf dem Grund von Njordirs nassem Reich gelegen, und dort vor sich hin gerottet.
Der Anblick des Gesichts machte klar, dass diese Kreatur kein Mensch mehr war. Der Kopf glich dem einer Schneeratte, nur das er im Verhältnis zum Restkörper unwesentlich größer war, als es ein menschlicher Schädel gewesen wäre.
Das Rattenmaul öffnete sich, und ein fauliger Geruch drang daraus hervor. Die Zähne glichen in keiner Weise dem typischen Gebiss einer Riesenschneeratte, sondern eher dem eines Eiswolfs.
Ein grollender Laut entrang sich der Kreatur. Sie spannte die Muskeln ihrer gewaltigen Arme, ballte die riesigen Pranken zu Fäusten, dann trommelte sich das Geschöpf auf den Brustkorb. Etwas Aschestaub löste sich dabei von seinem Körper. Der Rattenmann brüllte laut auf, und es klang gleichermaßen schmerzerfüllt und wütend.
Er starrte fassungslos auf seine riesigen Hände und betastete dann den neuen Körper, der eine groteske Mischung jener zwei Geschöpfe war, die an dieser Stelle von dem sengenden Drachenfeuer verbrannt worden waren.
Sein unförmiges Rattenmaul formte ein gequältes, für menschliche Ohren kaum verständliches Wort.
„Nein!“, schrie er.
„Hass und Rache brauchen eine Form, Wulfgarskint!“, belehrte ihn der Herr des Augenmonds. „Und sie brauchen die rohe Kraft einer Kreatur wie der Riesenschneeratte, die aus purem Instinkt heraus handelt, so wie ihn die Götter ihr eingepflanzt haben.“
Doch die Worte des Todverkünders vermochten die Verzweiflung der ungeschlachten Kreatur, zu der Wulfgarskint geworden war, nicht zu dämpfen. Sie sank auf die Knie, die Pranken griffen in den Boden, wirbelten Erdreich empor. Dabei stieß das Wesen Schreie voller Wut und Schmerz aus.
„Du denkst, dass ich dich betrogen habe?“, fragte Ogjyr und lachte schallend. „Das ist gut, Wulfgarskint. Denn das wird deinen Hass vergrößern und es dir erleichtern, deiner neuen Bestimmung zu folgen. Es wird dir helfen, die Kraft aufzubringen, die du brauchst. Wenn aus so vielen verschiedenen Quellen die Ströme des Hasses entspringen, werden sie sich irgendwann vereinen und zu einem mächtigen Ozean werden. Einem Ozean aus Blut!“
Die Kreatur sprang auf und wollte sich auf den Herrn des Augenmonds stürzen. Doch der wurde transparent, löste sich auf, und der brüllende Rattenmann griff durch ihn hindurch und taumelte wie ein torkelnder Narr zu Boden.
Wie aus dem Nichts erschien Ogjyr auf einmal hinter ihm. „Auf diese Weise kann man mich nicht fassen, und eigentlich müsstest du das wissen, Wulfgarskint. Denn auch wenn mich die Seelen der Toten für gewöhnlich meiden, so genieße ich unter den Legendensänger überall im Seereich doch eine gewisse Achtung, wie ich ohne falschen Stolz behaupten darf.“
Der Rattenmann richtete sich wieder auf. Er stöhnte, und dieser Laut klang beinahe menschlich.
„Dir mag es wie ein grausamer Scherz erscheinen, was ich mir mit dir erlaube", fuhr Ogjyr fort. "Aber erstens: Warum sollte dem Traumhenker und Herrn des Augenmonds als Einzigem die Heiterkeit verboten sein? Ich weiß, viele Sterbliche sind der Auffassung, der Seelentrenner dürfe keinen Sinn für Humor haben. Aber dann wäre meine Existenz trist und langweilig, darum bitte ich um Verständnis, wenn ich mir hin
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