Katagi (Drachenfluch Zweites Buch) (DrachenErde - 6bändige Ausgabe) (German Edition)
lebt, wird Asche - aber du bist es bereits. Und das ist deine Stärke. Also verweile nicht in der Ödnis dieser eisigen weißen Weite …
„Wenn ich dir zu langweilig bin, dann kannst du unseren Pakt gern rückgängig machen!“, brüllte Wulfgarskint zum Augenmond hinauf. „Nur zu. Ich war bereits tot, und dieser Zustand war nicht so schlimm, dass ich mich vor ihm fürchten müsste. Aber in Wahrheit bist du doch froh über jede Seele, die für einen hohen Preis bereit ist, dir die Einsamkeit zu vertreiben, da selbst die Toten dich und deinen Augenmond meiden wie einen Pestherd. Also nur zu, bestrafe mich, wenn du willst. Nimm mir das modrige, faulige, hasserfüllte Leben, das du mir gabst. Du bestrafst in Wahrheit mehr dich selbst als mich!“
Die Gedankenstimme des Todverkünders meldete sich daraufhin zunächst nicht mehr, und Wulfgarskint war dankbar für dieses Schweigen.
Er setzte seinen Weg fort und war allein mit sich, seinem Hass und seinen Gedanken, die zwangsläufig immer wieder zu einem Punkt zurückgekehrten: zu der Frage, wann und wie er sich rächen konnte. Der Wunsch zu töten wurde schier übermächtig in ihm, nur war diese kalte, weitgehend unbelebte Ödnis wirklich der allerschlechteste nur denkbare Ort, um diesem Drang nachzugehen.
Die Monde versanken, und die Sonne stieg auf. Ihr Licht empfand Wulfgarskint zunächst als unangenehm, denn es erinnerte ihn an jenen Moment, da er gestorben war und das Drachenfeuer ihn verschlungen hatte. Aber dann erkannte er, dass er den Schrecken, den das Aufgehen der Sonne in ihm verursachte, auch nutzen konnte, denn die Erinnerung an das verzehrende, unbarmherzig sengende Drachenfeuer verstärkte den Hass und die Wut in ihm. Und dadurch wuchs seine Kraft.
Vielleicht steckte durchaus Wahrheit in den Gedanken, die der Tod verkündende Ogjyr ihm gesandt hatte. Er musste die Möglichkeiten zu nutzen lernen, die seine Existenz als untoter Dämon ihm bot. Und das bedeutete auch, dass er die mächtigen, zerstörerischen Regungen, die ihn beherrschten, lenken musste.
Wulfgarskint dachte an die Geschichten, die ein Handelsfahrer namens Ramnjolf Silbergier aus Borghorst einst am Lagerfeuer erzählt hatte. Dessen Schiff war auf dem Rückweg von der sturmländischen Küste abgetrieben worden, und er hatte in Winterborg anlegen müssen, wo er die Gastfreundschaft Wulfgar Wulfgarssohns angenommen hatte. Wulfgarskint erinnerte sich daran, wie Ramnjolf von einem Fluss in Feuerheim berichtet hatte, dessen Wasser gestaut und umgeleitet worden war, um die Wüste jenseits von Nom-Lo zu bewässern. In Wulfgarskints Vorstellung entstand das Bild eines mächtigen Stroms, dessen Wassermassen auf einen ganz bestimmten, vorausgeplanten Weg gezwungen wurden. Einen Weg, den sie natürlicherweise niemals genommen hätten. Die Kraft dieser Wassermassen war gemeinhin nicht beherrschbar, und es gab keine Macht, die sich einem reißenden Strom entgegenzustellen vermochte, wie Ramnjolf zu berichten gewusst hatte. Und doch war es möglich, diese Kraft zu lenken.
Genau dies musste Wulfgarskint mit seinem Hass gelingen. Wulfgarskint erkannte, dass er andernfalls niemals in der Lage sein würde, die ihm gegebene Kraft wirklich zielgerichtet einzusetzen. Dass Ramnjolfs Geschichte einen schlechten Ausgang gehabt hatte, schreckte Wulfgarskint dabei nicht sonderlich: Die Feuerheimer Kanal- und Stauwehrbauer hatten offenbar nicht das Wohlwollen des Sonnengottes auf ihrer Seite gehabt. Zumindest erklärte man sich Ramnjolf zufolge in den Hafentavernen von Elabar so das Scheitern des Projekts. Der Stauwehr hatte nicht gehalten, und die Kanäle, die die Wüste jenseits von Nom-Lo hatten bewässern sollen, waren längst wieder ausgetrocknet.
In meinem Fall ist es anders, dachte Wulfgarskint. Schließlich hatte er nicht nur das Wohlwollen, sondern sogar den ausdrücklichen Auftrag eines Gottes, der vom Augenmond aus auf ihn herabblickte und zweifellos jede seiner Handlungen verfolgte.
Wulfgarskint folgte den Spuren, die ihm durch seine neuen Sinne offenbar wurden. Sowohl der Spur Bjonn Dunkelhaars als auch jener der Drachen-Armada, die sich beide in dieselbe Richtung bewegt hatten.
Während er durch den Schnee stapfte und Stunde um Stunde verging, stellte er überrascht fest, dass er nicht ermüdete. Sein untotes Leben schien keine Erholungspausen zu benötigen. Desgleichen kannte er offenbar weder Hunger noch Durst noch irgendein anderes Verlangen – abgesehen von seiner Gier nach Rache
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