Kater mit Karma
schicken.
Während sich die Mädchen im oberen Stock einrichteten, zog ich mich in mein neues Arbeitszimmer zurück und brachte das Manuskript in eine präsentable Form. Von neuer Zuversicht erfüllt, dass sich auch andere für unsere Geschichte interessieren könnten, entwickelte ich eine gewisse Routine. Mit Takeaway-Kaffee von Spoonful ausgerüstet verbrachte ich die meisten Vormittage mit Schreiben, bis mein Kopf völlig leer war. Die Bruchstücke unseres Lebens in lesbarer Form zusammenzufügen half mir dabei, einige der schmerzhafteren Erfahrungen zu bewältigen. Wenn ich beim Schreiben ehrlich war, würde es vielleicht einen gewissen heilenden Effekt haben.
Katharine und Lydia waren begeistert von unserem neuen Haus und der Zimmerverteilung. Sie hatten beide ein umgängliches Wesen und waren trotz des Altersunterschieds von sieben Jahren immer gut miteinander ausgekommen. Jetzt, wo Katharine kein Kind mehr war, verstanden sie sich sogar noch besser und liehen sich gegenseitig Anziehsachen und Schminkzeug. Neuerdings hatten sie eine Vorliebe für die Secondhandläden von Wohlfahrtseinrichtungen entwickelt und schleppten stolz irgendwelche müffelnden alten Klamotten an, auf denen das Label »Retro« prangte. Sie waren sich rasch einig, wer welches Zimmer bekommen sollte. Katharine würde das blaue Zimmer auf der linken Seite und Lydia das apricotfarben gestrichene auf der rechten nehmen.
Ich bedauerte es, dass wir uns nicht schon ein paar Jahre früher, als Rob noch bei uns gewohnt hatte, ein Haus dieser Größe hatten leisten können. Bei so vielen unterschiedlichen Altersgruppen in der Familie war es gut, viel Platz zu haben.
Die Mitglieder unserer Familie waren in fünf verschiedenen Jahrzehnten geboren, dadurch wurde uns wenigstens beim sonntäglichen Familienessen nie langweilig. Philip (geboren 1962) beispielsweise hatte kürzlich bei einem dieser Essen ein T-Shirt getragen, zu dem ich ihn überredet hatte, weil auf der Vorderseite »Free Leonard Bernstein« aufgedruckt war. Für Philip war Leonard Bernstein irgendein alter Musiker, den er sich nicht anhörte, wie Leonard Cohen. Wahrscheinlich trug er das T-Shirt nur, weil es retro aussah und deshalb akzeptabel für seine Töchter war. Ich (geboren 1954) dagegen mochte dieses T-Shirt, weil es mich an die Schwarz-Weiß-Übertragungen der Konzerte erinnerte, die Leonard Bernstein in New York für junge Leute gegeben hatte. Katharine (geboren 1992) kannte Leonard Bernstein, weil sie ein großer Fan von West Side Story war. Als Lydia (geboren 1985) das T-Shirt zum ersten Mal sah, musterte sie es voll Respekt und fragte mit Amnesty-International-Stimme: »Wer ist Leonard Bernstein und warum sitzt er im Gefängnis?«
Rob (Generation X) betrachtete Lydias Generation Y aus der Sicht eines brummigen alten Mannes. Er fand, sie und ihresgleichen hätten niemals schwierige Zeiten erlebt und würden erwarten, dass man ihnen alles auf einem Silbertablett präsentierte, von technologischen Entwicklungen bis zu Jobs. Lydia wiederum schien die Generation X für einen Haufen Wichtigtuer zu halten. Philip und ich waren als Vertreter der Baby-Boomer dagegen ein leichtes Ziel für alle unsere Sprösslinge. Nicht nur, dass wir die Welt politisch und ökologisch ruiniert hatten, man hatte uns auch noch bezahlbaren Wohnraum und kostenlose Ausbildungsmöglichkeiten hinterhergeworfen und Arbeitgeber hatten uns praktisch auf Knien angefleht, für sie tätig zu werden. An der Grenze zur Generation Z, war bei solchen Diskussionen lediglich Katharine auf der sicheren Seite, weil bisher noch niemand ein richtiges Profil ihrer Generation erstellt hatte. Chantelle (geboren 1978) nahm bei diesen Essen meistens die Rolle der schweigenden Zuhörerin ein, zweifellos fragte sie sich, auf was für eine verrückte Familie sie sich da eingelassen hatte.
Jede unserer Töchter war auf ihre Art schön und etwas Besonderes. Katharine war mit ihren fünfzehn Jahren groß, blond und hellhäutig, gesegnet mit den blauen Augen ihres Vaters und geschlagen mit den großen Füßen ihrer Mutter. Ein fröhliches, extrovertiertes Mädchen mit einem Haufen Freunden, das sich unter anderem für Bücher, ihre Geige und Musicals begeisterte. Sie war in zwei Schulmusicals aufgetreten, wenn auch wegen ihrer Größe und ihrer tiefen Stimme in Männerrollen: Wild Bill Hickok in Calamity Jane , Bert Healey in Annie . Die glamourösen Rollen bekamen jedes Mal die zierlichen Sopranistinnen. Katharine schloss sich
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