Kater mit Karma
was wir jetzt tun sollten, aber auf einen solchen Fall hatte man sie nicht vorbereitet.
Ich ignorierte Alice’ ungewöhnliches Ansinnen, bis ihr Geschrei unerträglich wurde. Also ließ ich Wasser in die Wanne laufen und gab ihr ein Handtuch. Besorgt blieb ich in der Nähe der Badezimmertür und fragte sie, ob alles in Ordnung sei. »Prima«, brüllte sie, und ich solle doch jetzt Rob reinschicken.
Es endete damit, dass uns Alice fünf Jahre lang jede Woche einmal besuchte. Wir lernten allmählich, auf ihre Forderungen ebenso entschieden zu reagieren, wie sie sie erhob. Nein, sie konnte nicht drei Pizzen haben oder in Robs Zimmer schlafen.
Nach Alice kümmerte sich Lydia um viele andere behinderte Menschen, deren Bedürfnisse komplizierter waren. Sie lernte, wie man jemanden aus einem Rollstuhl hob, ihn über eine Magensonde fütterte, ihm Medikamente verabreichte und die Windeln wechselte. Eine Zeitlang arbeitete sie in einer psychiatrischen Klinik und als Aushilfspflegerin.
Menschen mit Behinderungen spielten seit vielen Jahren eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Sie liebte diese Arbeit, die außerdem einen sozialen Nebeneffekt hatte. Sie und Ned hatten sich als ehrenamtliche Helfer in einem Sommerlager für Jugendliche kennengelernt.
Als ich dem Bus nachsah, musste ich lächeln. Unsere großherzige Tochter erklärte immer, sie wolle später einmal etwas dazu beitragen, dass es anderen besser ging. Erstaunlicherweise erkannte sie offenbar nicht, dass sie das bereits tat.
Einige Stunden später führte sie mich die Treppe hinauf und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Mir blieb die Luft weg. Das einstige Sammelsurium schäbiger Möbel hatte sich in einen stilvollen asiatischen Tempel verwandelt. Die Fenster waren mit tibetischen Gebetsfahnen behängt. Auf dem Boden lagen leuchtend rote Kissen. Zwischen einer Kerze und einem Bilderrahmen saß ein kleiner Buddha auf einer buntlackierten Truhe. Das Arrangement erinnerte entfernt an einen Altar.
»Fantastisch!«, sagte ich und betrachtete voll Bewunderung den tibetischen Wandbehang, den ihr einer von ihren Freunden geschenkt hatte. »Es ist so … friedlich.«
Das Zimmer war erfüllt von einer unwirklichen Stille, als könnte es sich jeden Moment vom Rest des Hauses lösen und davontreiben.
In der Erwartung, ein Foto von unserem letzten Familienurlaub zu sehen, nahm ich den Bilderrahmen in die Hand. Stattdessen lächelte mich ein buddhistischer Mönch an. Genauer gesagt, der buddhistische Mönch. Der Mönch, den wir vor einigen Jahren bei seinem Aufenthalt in Melbourne kennengelernt hatten. Damals hatten wir in unserer Yogagruppe gehört, dass ein Mönch aus Sri Lanka einen Ort suche, wo er Meditationsunterricht geben könnte. Er bräuchte nicht mehr als ein Zimmer, in dem zwanzig Personen auf mitgebrachten Kissen auf dem Boden sitzen könnten. Eine bescheidene Bitte. Ich meldete mich freiwillig.
An dem Tag, als sein Auto vor unserem Haus hielt, gingen die Vorhänge unserer Nachbarin Irene nach oben. Es war, als würden uns Königin Elisabeth und der Weihnachtsmann in Personalunion mit ihrem Besuch beehren. In wehende rotbraune Gewänder gehüllt und mit zwei kahlköpfigen Nonnen im Gefolge segelte der Mönch durch unser Gartentor.
Mit seiner gestrickten Mütze, dem fließenden Gewand und der goldgefassten Brille erinnerte er mich an Yoda aus Krieg der Sterne , nur dass seine Ohren kleiner waren und sein Satzbau besser. Sprühend vor Charisma nahm er die ungeschickten Verbeugungen seiner westlichen Bewunderer entgegen, überwiegend Ehefrauen und Mütter, die einen großen Teil ihres Lebens damit verbracht hatten, sich um andere zu kümmern. Manche von ihnen suchten nach innerer Ruhe, manche nach der Geborgenheit, die sie selbst anderen so freigebig geboten hatten. Oder nach einer Erweiterung ihres Horizonts. Die wenigen Männer, die in indischen Hemden und Perlenketten erschienen waren, waren sehr mit sich selbst beschäftigt und wirkten unnahbar.
Ich hatte demütig gelächelt und mich zusammen mit allen anderen verbeugt. Ich hatte weder von Mönchen noch vom Buddhismus die geringste Ahnung, aber ich wollte, dass sich die Leute wohl fühlten.
Wir schoben die Sofas zur Seite, damit sie ihre Kissen und Decken auf dem Boden ausbreiten konnten. Es war eng. Diejenigen, die dazu in der Lage waren, ließen sich im Schneidersitz nieder und begannen sich in einen meditativen Zustand zu versetzen, um uns anderen zu zeigen, dass sie den spirituellen Kindergarten
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