Kater mit Karma
aus dem Sudan Englisch bei. Ich hatte mir gelegentlich einen vorwurfsvollen Blick von ihr eingefangen. So wie Lydia meinte, dass wir nicht genug für Behinderte taten, enttäuschte Katharine unser fehlendes Interesse an Flüchtlingen. Sie hatte mir klargemacht, dass Shirley groß genug wäre, um mehreren sudanesischen Familien Unterkunft zu gewähren.
Ich machte mir Gedanken um unsere jüngere Tochter. Sie war blass und schmal und hatte dunkle Augenringe. Das Pflaster an ihrem Ellbogen wurde von Tag zu Tag größer und verbarg entweder eine Pilzinfektion oder einen Ausschlag. Was es auch war, jedenfalls war es ein Indikator für Stress. Ich fragte sie, wann sie am Abend zuvor mit ihren Hausaufgaben fertig gewesen sei. Halb zwölf, antwortete sie, aber ich wusste, dass es viel später geworden war. Sie versprach, heute früher ins Bett zu gehen. Jonah hätte trockene Pfoten, meinte sie und setzte ihn auf seinen Kratzbaum. Ich hob seine Vorderpfote, und er warf mir einen selbstmitleidigen Blick zu. Die Pfote war rissig wie ein trockenes Flussbett. An Katharines Meinung über mein Desinteresse für Flüchtlinge konnte ich zwar nicht viel ändern, aber am Zustand von Jonahs Pfoten. Neugierig sah er zu, wie ich seine Pfoten nacheinander hob und die ledrigen Ballen mit Handcreme einrieb. Die er sogleich ableckte.
Lydia kam herunter und bot Katharine an, sie zur Schule zu bringen und mich zum Tattoostudio. Wir nahmen beide sofort an.
Das Tattoostudio befand sich in einem heruntergekommenen alten Arbeiterhäuschen mit einem unscheinbaren Schild am Zaun. Lydia wollte auf mich warten, und ich verschwand über den blumengesäumten Plattenweg.
Eine Frau mit blonden Haaren öffnete mir die Tür. Ihr Gesicht wurde durch keinerlei Warzen, Leberflecken oder Falten verunziert, oberflächlich betrachtet war es makellos. Fast so, als hätte jemand ihre Gesichtszüge auf eine leere Leinwand gezeichnet. Ohne die Millionen von Fältchen, die ein Gesicht lebendig machten, sah sie aus wie einer der Stars einer Nachmittags-Soap.
Sie bat mich, mein Oberteil ausziehen und mich auf die Massagebank zu legen.
»Es tut nicht weh, es ziept nur ein bisschen«, versicherte sie mir und breitete ein blaues Plastiklaken über meine entblößte Brust.
Ich vermied es, die Tätowiernadel genauer zu inspizieren. Von ferne erinnerte sie mich an einen Zahnarztbohrer in einer braunen Plastikhülle.
»Ich färbe den Bereich nur ein wenig ein«, beruhigte sie mich. »Sie spüren vielleicht ein kleines Zwicken, wenn die Nervenenden darauf reagieren. Dafür habe ich diese Betäubungscreme.«
Eine Creme ? Eine Vollnarkose wäre mir lieber. Zu meiner Erleichterung erwies sich die ganze Prozedur als weitgehend schmerzfrei. Einzig die Vibrationen der Maschine waren unangenehm, sie gingen mir durch und durch. Alle paar Minuten hielt sie inne, um ihr Kunstwerk mit Gaze abzutupfen.
»Bluten sollte es nicht«, sagte sie. »Die Kunst besteht darin, mit der Nadel nicht zu tief zu stechen, sonst kommt es zu Gewebeeinblutungen und nach ein paar Jahren verschwimmt das Tattoo, so war es bei meinem Dad. Aber das wussten sie damals im Krieg noch nicht.«
Ich wollte das eigentlich auch gar nicht alles wissen. Ich fragte, ob sie irgendwelche Tätowierungen habe.
»Nein«, erwiderte sie. »Außer im Gesicht.«
»Im Gesicht?«
»Ja, Eyeliner und Augenbrauen. Für meine Lippen habe ich eine natürliche Farbe genommen. Lippen sind heikel. Zu kräftige Farben kommen irgendwann aus der Mode.«
Vierzig Minuten später stand ich vor dem Spiegel und bewunderte ihr Werk. Die gefärbte Brustwarze sah dunkler als ihre Nachbarin aus. Die Frau meinte, das würde bald verblassen. Ich müsste sie vier Tage trocken halten und mit Salbe einschmieren. Außerdem dürfte ich einen Besuch meiner beiden alten Freunde Schwellung und Unwohlsein erwarten.
»Bald können Sie sich wieder oben ohne sonnen«, sagte sie fröhlich.
Und untenrum würde ich das Bikinihöschen tragen, von dem Greg gesprochen hatte. Waren die eigentlich alle verrückt?
Ich fragte sie, welche Tätowierungen fürs Gesicht sie mir empfehlen würde. Sie meinte, ich hätte hübsche Augen, daher würde sie mit Eyeliner anfangen. Ich stellte mir mich als die Cleopatra des Seniorenheims vor und sah in den Spiegel. Die knallroten Äderchen in meinen Augen mussten wohl kaum hervorgehoben werden.
Als Lydia und ich nach Hause kamen, wartete ein Strauß gelber Rosen von Philip vor der Haustür. Der Schatz. Ich klappte die Karte
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