Kater mit Karma
Wenigstens nicht ganz.
Wir standen an den blank polierten Abschiedstüren. Sie küsste mich auf die Wange.
»Warum kommst du nicht und besuchst mich im Kloster?«, fragte sie.
In einem Kloster in der Dritten Welt, das von einem Mönch geführt wurde, der mir so viele schlaflose Nächte bereitet hatte? Nicht zu vergessen die primitiven Toiletten, Blutegel und die Ratte.
Die Psychologin hatte gesagt, meine Gesundheit müsse vorgehen. Ich hatte nicht die Absicht, mich ihr zu widersetzen.
Lydia wusste doch, dass ich nur Orte besuchte, an denen es flauschige Handtücher gab.
Wahrscheinlich hatte sie es nicht ernst gemeint.
»Du weißt, ich bin nicht religiös, aber …«, sagte ich und gab ihr ebenfalls einen Kuss. »Ich werde darüber nachdenken.«
38.
Glückliche Zufälle
Wenn du nicht weißt, was du tun sollst, frag eine Katze.
In der Grundschule hatte ich das erste Mal von Sri Lanka gehört. Die Lehrerin hatte die alte Landkarte über der Tafel entrollt und auf eine Insel gedeutet, die wie eine Träne an der Südspitze von Indien hing. In einem vertrauenerweckenden Rosa, entsprechend einem Großteil der Welt (zumindest die wichtigen Teile). Wie unser Land gehörte es jener ewigen Macht an, dem British Empire.
»Ceylon ist berühmt für seinen Tee und das hier«, sagte die Lehrerin und hielt ihre Hand mit dem Verlobungsring in die Höhe. Der glitzernde blaue Stein sei ein Saphir, erklärte sie uns.
Es war einfach ungerecht. Auf Ceylon gab es wertvolle Edelsteine, und was den Tee anbelangte, hatten wir immer noch genug britisches Blut in den Adern, um zu wissen, dass wir ohne Tee praktisch nicht leben konnten. Ich war neidisch auf Ceylon. Alles, wofür wir Neuseeländer berühmt waren, waren Schafe und Käse.
Bevor die Insel Ceylon genannt wurde, trug sie den weitaus romantischeren Namen Serendip. Das Wort Serendip stammt aus einem Märchen und hat arabische Wurzeln. Interessanterweise wurde der englische Begriff serendipity einmal zu einem der zehn am schwierigsten zu übersetzenden Begriffe gewählt. Serendipity bzw. Serendipität bezeichnet einen Glücksfund, das heißt jemand findet etwas, was er gar nicht gesucht hat. Ein glücklicher Zufall.
Für mich war Sri Lanka das glatte Gegenteil. Seit Lydia ihre Leidenschaft für dieses Land entdeckt hatte, ganz zu schweigen von Tsunamis, Krieg und Armut, hatte ich die Insel im Stillen immer Land der Tränen genannt.
Ein Piepton meines Handys meldete eine neue SMS. Sie war von Lydia, die schrieb, in Sri Lanka regne es. Ich antwortete ihr, in unserem Garten der Dankbarkeit würden die Rosen blühen.
Meine Tage waren damit ausgefüllt, Katharine durch die letzten Schulwochen zu bringen. Das arme Kind hatte sich zu viel zugemutet und sich eine chronische Mandelentzündung eingefangen. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, dem ein entzündeter Hals dermaßen zusetzte.
Auf jede anfängliche Besserung folgte wenig später ein noch schlimmerer Rückfall. Eine Ärztin sagte, ein solch heftiger Krankheitsverlauf wäre ihr in den vergangenen dreißig Jahren nicht begegnet. Nach einer Weile verloren die Antibiotika ihre Wirkung und Katharine zog sich neben der Entzündung, die sie bereits hatte, weitere Infektionen zu. Nach zwölf Blutuntersuchungen und fünf verschiedenen Ärzten ging sie schließlich zu einem Spezialisten. Er verschrieb ihr Steroide, damit sie die Prüfungen durchstand, und nahm ihr das Versprechen ab, sich gleich nach ihrem letzten Schultag die Mandeln entfernen zu lassen.
Es war furchtbar, mit anzusehen, wie unser fröhliches Kind drei Monate Krankheit und Schmerzen ertragen musste. Zu Beginn des Jahres hatte sie noch gehofft, dass ihre Noten für ein Medizinstudium reichen würden. Nachdem sie krankheitsbedingt häufig in der Schule fehlte, gab sie diesen Traum unter Tränen auf. Außerdem war sie in letzter Zeit bei so vielen Ärzten gewesen, dass sie nicht mehr sicher war, ob sie den Beruf wirklich gut fand. Ärzte hätten so einen beschränkten, auf die Wissenschaft fixierten Horizont, erklärte sie. Sie sähen nicht den ganzen Menschen.
Jedes Mal nachdem ich sie vor einer Prüfung zur Schule gefahren hatte, wartete ich beinahe auf einen Anruf mit der Mitteilung, dass sie umgekippt war. Sie hielt jedoch mit einer unglaublichen Zähigkeit durch.
Jonah wuchs während ihrer Krankheit über sich hinaus, schaltete in den Superhelden-Modus und übernahm die Rolle ihres Beschützers. Wenn sie lernte, hielt er zu den Klängen klassischer Musik von
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