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Kater mit Karma

Kater mit Karma

Titel: Kater mit Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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stellte ich mir die Amazonen vor, wie sie mit einer einzelnen wippenden Brust durch den Dschungel rannten, bevor sie sich an Lianen durch die Luft schwangen und mit einem Platsch im Amazonas landeten. Eine der erträglicheren Enttäuschungen des Erwachsenwerdens war die Entdeckung, dass die Amazonen gar nicht aus dem Amazonas-Dschungel stammten, sondern irgendwo aus der Türkei. Wie dem auch war, jedenfalls musste ich mir keine großen Sorgen machen, wenn die Amazonen sich die Brust sogar ohne moderne Narkosemittel abhacken konnten.
    Erschreckt fuhr ich zusammen, als es an der Tür klingelte. Erst wollte ich nicht aufmachen. Wahrscheinlich war es Katharine, die spät nach Hause kam und wieder mal zu faul war, ihren Schlüssel aus der Tasche zu kramen. Ich schlüpfte in meinen Morgenmantel und marschierte den Flur hinunter, die Gardinenpredigt für Katharine schon fertig im Kopf. Hier würde sich einiges ändern müssen. Es durfte nicht immer alles an mir hängen …
    »Das ist das letzte Mal«, sagte ich, als ich die Tür aufriss.
    Im abendlichen Dämmerlicht stand ein großer Mann vor mir. Es war Ned, die Hände in den Taschen vergraben, noch zerzauster und wirrer als sonst.
    »Oh, Entschuldigung, ich dachte, es wäre Katharine«, sagte ich und fühlte mich plötzlich unwohl in meinem Morgenmantel, aber er schien meinen Aufzug gar nicht zu bemerken.
    »Haben Sie was von Lydia gehört?«, fragte er fahrig.
    »Nein«, erwiderte ich, noch immer böse auf ihn, weil er sie entführt und zum Flughafen gebracht hatte. »Sie ist vermutlich erst vor wenigen Stunden im Kloster eingetroffen. Und Sie?«
    »Nein«, sagte er und musterte seine Stiefel.
    Ich war offensichtlich nicht der einzige Mensch, den sie mit ihrer Abreise verletzt hatte. Ich wickelte den Morgenmantel fester um meine Taille und bat Ned herein, dann füllte ich den Wasserkessel. Wir konnten ja wenigstens eine Tasse Kaffee miteinander trinken und gemeinsam unsere Wunden lecken. Ich öffnete den Kühlschrank. Ned stolperte und hielt sich am Tisch fest.
    »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
    »Nein, nicht so richtig«, erwiderte er. »Ich habe aufgehört, meine Medikamente zu nehmen.«
    Mein Griff um die Milchpackung wurde fester. Lydia hatte sich nie klar über Neds Zustand geäußert. Sie fand es nicht gut, wenn Menschen in Schubladen gesteckt wurden. Leichte Schizophrenie, hatte sie einmal gesagt, aber kein Problem, solange er seine Tabletten nahm. Sonst verlor er den Kontakt zur Realität und hörte wieder Stimmen.
    Meine einzige Erfahrung mit Schizophrenie ging auf eine Begegnung vor mehreren Jahren zurück, als ich eine verzweifelte Mutter interviewte, deren Sohn seine Tabletten im Klo hinuntergespült hatte und dann in den Zoo gegangen und ins Löwengehege gesprungen war.
    Journalistische Erfahrung ist oft recht hilfreich, aber man wird dadurch eindeutig hysterischer. Die Schlagzeile »Krebskranke vom Freund der Tochter erstochen« erschien vor meinem geistigen Auge und ich schob mich unauffällig näher an den Messerblock neben dem Herd. Mich mit Lydias ausgeticktem – oder vielmehr tickendem, aber nicht mehr ganz richtig tickendem – Freund auseinandersetzen zu müssen, war das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte.
    Die Sorge hätte ich mir sparen können. Ned saß traurig über seinen Kaffeebecher gebeugt am Tisch und wir lamentierten gemeinsam über Lydias Herzlosigkeit, weil sie sich bei keinem von uns gemeldet hatte, und dabei klangen wir wie zwei Ehefrauen, die entsorgt worden waren. Die arme Lydia, es konnte gut sein, dass sie noch nicht einmal aus dem Flugzeug ausgestiegen war oder sich gerade irgendwo aufhielt, wo sie keinen Handyempfang hatte.
    Offenbar zufrieden mit dem Kaffee, unserem Gespräch und dem Versprechen, dass wir uns sofort gegenseitig informieren würden, sobald einer von uns mit Lydia gesprochen hatte, verschwand Ned in der Nacht. Rivalen waren zu Verbündeten geworden, zumindest zeitweise.
    An diesem Abend hechtete ich jedes Mal zum Telefon, wenn es klingelte. Rob und Mary riefen an, aber nicht Lydia.
    In den folgenden Tagen wurde mein Patientendasein zum Vollzeitjob. Zwischen den verschiedenen Untersuchungen mussten schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden.
    In dieser Zeit informierte mich meine Chirurgin, dass sie Urlaub machen würde und ich daher mit meiner Operation einen Monat warten müsste, bis sie zurück war (und damit den Krebszellen fünf weitere Wochen schenken, in denen sie meinen Körper als Freizeitpark

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