Kater mit Karma
verschiedene Klobrillen gesehen. Die Namen exotischer Reiseziele rufen in mir keine Erinnerungen an sich im Wind wiegende Palmen wach, sondern an fürchterliche Übelkeit. Wenn ich wieder irgendwohin reisen würde, so hatte ich mir vorgenommen, vor allem nach dem Kampf gegen den Brustkrebs, dann musste es dort blitzende Badezimmer, Haute Cuisine und blütenweiße Bettwäsche geben.
»Wie viele Stufen führen noch mal zum Kloster hinauf?«, fragte ich, um nicht gleich abzulehnen.
»Einige, aber wir würden dein Gepäck tragen.«
»Kath hat mir erzählt, dass du in deinem Zimmer eine Ratte gesehen hast«, schob ich nach. Katharine war eine ausgezeichnete Quelle für Geheiminformationen.
»Ach, vielleicht war es überhaupt keine Ratte«, sagte Lydia abwiegelnd. »Ich habe nur einen Schatten gesehen. Und der hat einen weiten Bogen um mich gemacht.«
Mittlerweile zählte ich die Tage, bis Lydia zurückkam. Meiner Berechnung nach musste ich nur noch drei Wochen abends beim Einschlafen den Gedanken verdrängen, dass sie entführt, in ein Gemetzel geraten oder ernsthaft krank werden könnte, Letzteres wahlweise durch eine Lebensmittelvergiftung, Malaria oder irgendeine andere tropische Krankheit. Nicht zu vergessen die Möglichkeit, dass sie von einer der achtundneunzig Schlangenarten auf Sri Lanka gebissen wurde oder dass ein Skorpion, wild gewordener Elefant, Leopard, Wasserbüffel, Mungo oder Schakal sie angriff.
Was die in Sri Lanka omnipräsenten Affen anging – nachdem mir ein befreundeter Arzt ein paar Zahlen über Todesfälle infolge von Affenbissen genannt hatte, betrachte ich sie nicht mehr als harmlose Beinahe-Menschen.
Noch mehr als wegen all der physischen Gefahren, in denen Lydia schwebte, machte ich mir Sorgen über das, was in ihrem Kopf vor sich ging. Vielleicht hatte das stundenlange Meditieren bei ihr ja zu religiösem Eifer geführt. Meine diesbezüglichen Fragen wurden mit Schweigen beantwortet, gefolgt von einem »Ach, schwer zu erklären«. Sie zu fragen, ob sie immer noch vorhatte, dem Westen und seiner fleischlastigen, oberflächlichen Konsumkultur den Rücken zu kehren, wagte ich erst gar nicht.
Sobald wir über Robs Hochzeit sprachen, klang ihre Stimme fröhlich und aufgeregt. Dann hörte ich die alte Lydia durch – das kleine Mädchen, das im Elfenkostüm auf einem Trampolin herumhüpfte; die Anderthalbjährige, die in roten Schuhen durch den Park wackelte und darauf beharrte, dass Schwäne Enten waren. Sie war schon damals ziemlich starrköpfig.
Wenn Lydia von »uns« sprach und damit ihre Familie meinte, musste ich jedes Mal mit den Tränen kämpfen. Vielleicht würden die drei Monate in dem Kloster ja dieselbe Wirkung haben wie die zweihundert Streicheleinheiten bei Jonah und ihr die Flausen austreiben. Aber dann fiel mir ein, dass die zweihundert Streicheleinheiten bei Jonah ein Riesenreinfall gewesen waren, und ich beschloss, mich nicht weiter als Amateur-Verhaltensforscherin zu versuchen.
Nach einem dieser Telefonate wanderte mein Blick zufällig in der Küche herum. Im Vergleich zu der farbenprächtigen Welt, in der Lydia offenbar gerade lebte, versanken wir in einer Palette von Beigetönen. In ihrer Farblosigkeit machte Shirley innen wie außen einen müden Eindruck. Robs Hochzeit war in sechs Wochen und wir wollten am Abend vor dem großen Tag dreißig oder vierzig Leute zu einem Grillfest unter dem Baum in unserer Gartenwüste einladen. Bis dahin musste das Haus dringend einer Verjüngungskur unterzogen werden.
Ich überlegte, was meine Mutter in dieser Situation gemacht hätte. Putzen hatte sie genauso gehasst wie ich. Die Fettschichten auf dem Küchenregal übermalte sie lieber, als dass sie sie wegschrubbte. Ihre Lieblingsfarbe war ein hellblauer Lack, in dem vermutlich genug Blei war, um einen Teil der in unserer Familie herrschenden Exzentrik zu erklären. Sie fand, die Farbe wirke »hygienisch«, und besonders gefiel ihr der Glanz. Die Farbe »decke so gut«, meinte sie. So kam es, dass die blaue Farbe dicke Tropfnasen an den Kanten der Regalbretter bildete.
Als ich nun mein Auge über Shirleys schäbige Kücheneinrichtung wandern ließ, fiel mir sofort Farbe ein. Ich rief David, den Inneneinrichter, an und er kannte genau die richtigen Leute, die uns im Handumdrehen aus der Patsche helfen konnten.
Ich freute mich nicht gerade auf die Maler. Der Gestank würde mich beim Schreiben stören, von dem unvermeidlichen Geplärre aus dem tragbaren Radio gar nicht zu
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