Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold
wieder sie selbst. Ungeschminkt und in Jeans mit geblümtem Kleid darüber, das ihr in den Kniekehlen hing. Nur ihre Haare lagen ungewohnt flach am Kopf.
Liebermann tippte sich lächelnd gegen die Schläfen. »Kopfschmerzen.«
»Oh! Kommst du trotzdem noch mit ins Katinka? Nur ein bisschen auspendeln.«
Er ließ seinen Finger über ihren Nasenrücken gleiten.
»Ein andermal.«
Vor der Haustür wartete Serrano.
»Tut mir leid«, sagte Liebermann. »Deine Freundin ist noch nicht hier. Mir haben ein Galerist und eine Nixe die Zeit weggefressen.« Serrano kam trotzdem mit hoch. »Fühl dich wie zu Hause.« Liebermann ging ins Wohnzimmer, wo ihm das Telefon entgegenleuchtete. Während er Uwes Anruf abhörte, starrte er an die Pinnwand. Er hatte mit Olbinghaus und Selma danebengelegen. Das hätte ihn ärgern oder beruhigen können. Aber weder das eine noch das andere war der Fall. Über Liebermanns Hand krabbelte eine Ameise.
Miris Wangen glühten im Schlaf. Liebermann zog unnötigerweise ihre Decke zurecht und strich ihr über das Haar, das dem seinen so ähnlich war. Im Recorder neben ihrem Bett schlingerte noch eine CD leise vor sich hin. Er nahm sie heraus. Ein paar Sekunden lang klopfte er mit ihr leicht auf seine Handfläche, als wolle er sie überreden, ein Geheimnis auszuspucken.
Welches Geheimnis? Diese CD hörte Miri seit Tagen, und nie war ihm etwas komisch daran vorgekommen. Trotzdem nahm Liebermann sie mit ins Wohnzimmer und legte sie gut sichtbar vor sich auf den Tisch, als er das erste Bier öffnete. Serrano kratzte an der Balkontür.
»Was hat das für einen Sinn, wenn du mit zu mir kommst, um gleich wieder rauszugehen?«, fragte Liebermann und öffnete die Tür. Serrano tänzelte hinaus.
»Prost! Auf die Ameisen.« Er leerte sein Bier in wenigen Zügen und ersetzte es umgehend durch ein neues. Dann schob er sich in einen der Korbsessel und gestand sich endlich ein, dass er vor ungefähr einer Stunde Charlotte Olbinghaus gegenübergestanden hatte.
Das Bier in der Hand, die Augen auf Serrano, der an einem Halm knabberte, ließ Liebermann die letzten sieben Tage an sich vorüberziehen. Sieben Tage war es her, dass Charlotte Olbinghaus seinen hormonellen Wirbelsturm ausgelöst hatte. Fünf, seit er Nico kannte, erst fünf! Kaum zu glauben. Aber die Uhren tickten hier anders, das hatte er während dieser Tage verstanden. Wie das Leben in diesem Viertel, so schien auch die Zeit komprimiert zu sein die Gemeinschaft der Bewohner, ein straff gewickeltes Wollknäuel, an dessen äußeres Ende er sich klammerte. Niemand schnitt ihn los, aber, so wurde ihm plötzlich klar, es entrollte auch niemand für ihn. Man nannte ihn den Lektor, selbst Nico rief ihn bei seinem Nachnamen. Nach dem Vornamen hatte sie ihn nie gefragt. Er war der Zugezogene. Liebermann rieb sich die Augen.
Die Erinnerungen verhedderten sich, sie zuckten als Blitzlichter auf.
Lilly Bärmanns übernächtigtes Gesicht, das Gitter vor ihrem Fenster, Miri auf der Schaukel. Da Liebermann die Befehlsgewalt über sein Gedächtnis wieder einmal verloren hatte, ließ er es laufen, in der unbestimmten Hoffnung, dass es ihn irgendwohin führen würde, vielleicht an einer der Sphinxe vorbei. Nils mit seinem abenteuerlichen Anhänger, auf dem sich Säcke mit Rindenmulch stapelten. Das Funkeln von Estrellas Ohrringen und Tante Lehmanns goldglitzerndes Handgelenk, ihre halbleeren Regale. Michael und sein Fluchtschritt. Beachtlich, vielleicht konnte er ihn sich von ihm beibringen lassen. Goran der Kroate, ebenfalls beachtlich, wie er Kisten von seinem Pick-up lud, zwei braune Umschläge. Die alte Krebs im Laden mit ihrem goldenen Geschoss von einer Tasche. Nico nackt. Ihre Schneiderpuppe, bekleidet mit einem schimmernden schwarzen Kleid und roter Lockenperücke, entnervte Bauarbeiter vor einem halbzerlegten Baugerüst, Nico, düster vor sich hin starrend, nachdem sie Nils nachgebrüllt hatte, dass das Leben keines seiner Spiele wäre, welcher Spiele? Fotos der Bärmanns, durch die Fensterscheibe aufgenommen. Zwei hellblaue Badelatschen Größe 41, auf die mit Kugelschreiber: »M. Förster« geschrieben stand. Verwirrt brach Liebermann ab.
Von den Badelatschen abgesehen, waren all dies nichts weiter als Eindrücke, die er während der ersten Tage hier gesammelt hatte und die sich ihm besonders ins Gedächtnis eingeprägt hatten. Und doch befanden sich auf der Pinnwand über ihm Fragen, dennoch hatte sich unter seinen Füßen angesichts der zu Charlotte
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