Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold
kümmern.« Was verzwickt werden könnte, wenn der Fremde bereits das halbe Viertel in den Bann seiner nebelblauen Augen gezogen hatte, dachte er. Darunter sogar die Tochter der Heringsfrau.
Es war bereits kurz nach halb neun, als Liebermann am Abend die Tür zum Kindergarten aufschob und gegen eine Frau prallte. Die Wucht der Begegnung warf sie beide ein Stück zurück.
»Na, na«, sagte sie, rückte ihre Haare an Ort und Stelle und glättete ihr Kleid, das verdächtig nach einem Nachthemd aussah. »Ruhig Blut!« Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, womit sie Liebermann immerhin beinahe bis an die Schulter reichte. »Bist du der Jäger?«
Liebermann reichte ihr die Hand. »Zu Diensten. Schneewittchen, nehme ich an.«
»Du nimmst richtig an. Alias Gabi. Und kein Wort über meine Figur!«
Liebermann wurde rot. Tatsächlich war ihm gerade die Frage durch den Kopf gegangen, ob die Gebrüder Grimm sich unter dem schönsten Mädchen des Königreiches jemanden wie Gabi vorgestellt hatten.
Gabi musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Du hättest auch einen passablen Prinzen abgegeben. Der jetzige ist mir ein bisschen zu behaart.«
Während sie sprach, tauchte aus einem der Gruppenräume Nico auf. Bis auf ein goldenes Pappkrönchen war sie unverkleidet. Ihr Lächeln kam Liebermann schmaler vor als am Nachmittag. »Ich dachte schon, du hast es dir anders überlegt.« Auch ihre Stimme klang fremd, obwohl Liebermann den Unterschied nicht in Worte fassen konnte. Sie gab ihm nicht die Hand und kam auch nicht näher, sondern wandte sich an das pummlige Schneewittchen: »Ralph wäre so weit.«
»Kannst du improvisieren?«, fragte Schneewittchen Liebermann.
Liebermann blickte auf ihre gut durchbluteten Wangen und die schalkhaften, flinken Äuglein. »Ich versuch’s.«
»Na dann: Bis gleich auf der Bühne.« Sie verließ ihn, um einer jungen Frau beim Tragen eines Sperrholzbaumes zu helfen. Liebermann folgte ihnen. Im Gruppenraum seiner Tochter war ein Seil von einer Wand zur anderen gezogen worden, über das man einen Vorhang geworfen hatte. Dahinter erspähte er eine Puppenküche. Schneewittchen und ihre Begleiterin richteten den Sperrholzbaum auf.
»Minimalkulisse«, sagte Schneewittchen. »Der Rest kommt später.«
Liebermann stellte sich neben Nico an den rechten »Bühnenrand«. Sie warf ihm einen knappen Blick zu und heftete ihn dann wieder auf die Bühne. »Bist du etwa der behaarte Prinz?«, fragte er.
»Die Stiefmutter.«
Drei rotbemützte Zwerge zogen an ihnen vorbei. Dann kam der Prinz.
Es bereitete Liebermann einige Mühe, den Waschmaschinenklempner unter seinem angeklebten Bart und dem Samtbarett zu erkennen. Bei der Begrüßung zerquetschte Ralph ihm fast die Hand.
»Ich wusste nicht, dass du ein Kind hast!«, sagte Liebermann überrascht.
Ralph grinste. »Schneewittchen weiß es auch noch nicht.«
Gabi kam angestampft und überreichte Liebermann einen Lodenhut. An einer Seite klebte ein zerzauster Gamsbart. »Du weißt, was du zu tun hast?«
Liebermann drückte sich den Hut auf den Kopf.
»Ich schleppe dich in den Wald, um dich zu erschießen. Deine rührende Unschuld hält mich davon ab, und ich erlege stattdessen den Bären dort.« Er zeigte auf einen blauen Plüschbären, den irgendjemand gewaltsam in einen Puppenwagen gestopft hatte. »Ich reiße ihm das Herz heraus und bringe es der bösen Königin.« Er warf einen Blick zu Nico, den sie nicht erwiderte.
»So ungefähr«, sagte Schneewittchen. »Gut. Alle auf die Plätze, es muss nicht wieder elf werden.«
Gabi war hauptberufliche Regisseurin, aber das erfuhr Liebermann erst hinterher, als er, mit seiner Erstlingsleistung durchaus zufrieden, an der Seite von Ralph und Nico heimwärts schlenderte. Er hatte sich nur ein einziges Mal verzettelt, als er auf Schneewittchen angelegt und plötzlich dicht neben sich ein Hirsch geröhrt hatte. Der Ruf war von Band gekommen. Ebenso wie später der Uhu, das Vogelgezwitscher und das Schlagen einer Standuhr. Schneewittchen alias Gabi hatte ihm erklärt, dass die Theateraufführungen sehr an Atmosphäre gewonnen hatten, seit Ralph sie mit seinen CDs abrundete.
Während Liebermann sich mit ihm auf dem kurzen Weg in die Meistersingerstraße durch ein höfliches Gespräch über die Vor- und Nachteile einer Feuerschutztür arbeitete, die der Kindergarten in den Umkleideraum zu bauen gedachte, blieb Nico schweigsam. Ihre Augen glitten über die Balkons an Liebermanns Haus.
»Ist Lilly schon weg?«,
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