Katerstimmung (German Edition)
doppelten Preis gesehen». Ich kaufe eine Decke. Die Stewardess geht an Lenny vorbei und zwinkert ihm zu. Er ruft «Highway High Club» und folgt ihr auf die Bustoilette. Mein Handy klingelt. Es sind meine Enkel. Sie wollen wissen, wie es mir geht. «Es geht halt jeden Tag ein bisschen schlechter», will ich sagen und mich in meine eben erworbene Rheumadecke einigeln. Doch da nimmt eine alte, weißhaarige Frau mit vielen Falten meine Hand und lächelt. Es ist Ana. Sie ist wunderschön. «No is a problem», antworte ich den Anrufern, «we are the champions.» Einen Moment, wieso rede ich Englisch mit meinen Enkeln? Und ist mein Handy-Akku nicht eigentlich leer?
Als der Busfahrer «Estación de Sants» durch die Lautsprecher plärrt, reißt er das dahinsiechende Lazarett schlagartig aus seiner Lethargie. Ich habe irgendwo einmal gesehen, wie Ozzy Osbourne morgens nach dem Aufstehen an seinen Achseln riecht und «That’s the smell of victory» sagt. Dem Geruch nach ist unser Bus ein Käfig voller Sieger. Dreißig stolze Veteranen mit zerfetzten, rotbefleckten Uniformen freuen sich auf das Wiedersehen mit ihren Familien. Manche werden wie Kriegsheimkehrer begrüßt. Eine junge Mutter reicht einem Mann Blumen, und vielleicht sagt sie: «Juan, ich hatte solche Angst, dass dir etwas passiert!» Und er: «Lass uns nicht über die Hölle von Buñol sprechen. Nicht vor den Kindern.» Und weil es auf emotionale Gemüter verlässlicher wirkt als frischgeschälte Zwiebeln, ertönt Samuel Barbers Adagio für Strings . Kommt in jedem Hollywoodfilm bei Präsidentenbeisetzungen und Weltuntergängen. Dann nimmt er ihr die Blumen aus der Hand und steckt seine Nase hinein.
Ah nee, sie hält ihm nur ein Handtuch hin, und er wischt sich lachend das Gesicht ab. Und eigentlich sehen auch die anderen gar nicht so abgekämpft aus. Die Geigen spielen auf einmal I’m just a dreamer . Ich sollte an diesem schwarzen Sonntag dringend ins Bett.
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Enthüllungsdruck
Die Hupe eines rückwärts einparkenden Gemüselieferanten vor dem Fenster wünscht mir einen guten Morgen. Zum dritten Mal in Folge frage ich mich nach dem Aufwachen als Erstes, wo ich überhaupt bin. Wenn man den Powernap auf dem Glasbett am Flughafen Valencia mitzählt, sogar schon zum vierten. Dann sehe ich eine hölzerne Anwesenheitsliste mit vielen Namen in bunten Farben über mir und höre lautes Schnarchen. Hörsaal würde passen, aber da sind die Listen nicht aus Holz. Bleibt nur noch Jugendherberge. Stimmt, wir sind gestern Abend noch mit letzter Kraft ins Zentrum gezogen und im nächstbesten Hostel abgestiegen. Der vollgekritzelten Holzplatte nach liege ich unten in einem Etagenbett. Václav, Sonia, Peter, Mary, Stefan und Leticia were auch schon here, wieso Joel schreibt: had the night of my life in this bed! , möchte ich wohl lieber gar nicht wissen.
Ich klettere aus dem Bett. Außer meinem Schnarchamigo, der mit Unterhemd und Brustpelz die obere Etage beschläft, kann ich niemanden in unserem 8-Bett-Zimmer sehen. Ich erspare dem Spiegel neben der Tür meinen Anblick und wate in den Flur. Meine Bewegungen ähneln denen eines Fußballspielers, der zwei Minuten vor Abpfiff bei eigener Führung ausgewechselt werden soll und blitzverletzt zur Seitenlinie humpelt. Bis ich in der kleinen Cafeteria des Hostels bin, hätte mir der Schiedsrichter wegen Spielverzögerung schon längst Gelb gezeigt.
Lenny und Wilhelm sitzen auf Korbstühlen an einem der runden, schwarzen Tische. Sie scheinen sich über irgendetwas uneinig zu sein. Im Zweifelsfall geht es um die FDP, Zahnaufhellung oder die Frage, ob man Ritalin ohne ethische Bedenken als Aufputschmittel missbrauchen darf. Und ob Wilhelms Apotheker-Cousin das jetzt endlich mal besorgen könnte.
«Morgen.»
«Morgen, Max! Respekt, du hast den kleinen Zeiger die volle Runde fahren lassen.»
«Ähm … bitte?»
«Lenny meint damit, du hast über zwölf Stunden geschlafen. Wir haben halb zehn morgens und er offensichtlich Flotte Sprüche 3000 gefrühstückt.»
Ich ignoriere die negativen Schwingungen und bediene mich am Büfett, das laut Schild am Empfang «kontinental» sein soll. Es gibt ein Brötchen mit einem abgepackten Stück Butter und abgepackter Marmelade. Wirkt auf mich eher subkontinental.
An manchen Tagen hat man ja irgendwie keine Lust auf das morgendliche Pflichtprogramm: Anziehen, Duschen, Zähneputzen. Das T-Shirt von der Nacht ist noch so schön warm, das Badezimmer so kalt und der
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