Katerstimmung (German Edition)

Kaugummi genauso effektiv wie drei Minuten Schrubben. Von solchen Gedanken bin ich heute weiter entfernt als mein Frühstücksteller von einer Delikatesse. Jede Vorher-nachher-Show der Welt würde sich um mich reißen. Und doch lässt mich eine Sache noch schneller schlingen als die Hoffnung auf baldige Reinheit: die Hoffnung, mein Handy anschalten zu können und «Ich muss gerade aufpassen alleine auf meinem Eltern Ferienhaus am Strand. Bringst du Sahne mit?» zu lesen.

    Da unsere Herberge in einer Seitenstraße der zentralen Promenade Las Ramblas liegt, müssen wir nicht lange suchen. In direkter Nachbarschaft befinden sich ein Supermarkt, eine Massagepraxis, ein Fitnessstudio, ein Elektroshop und ein Friseur. Und ein Chinaladen, in dem man augenscheinlich alle zuvor genannten Waren und Dienstleistungen erhalten kann. Lenny und Wilhelm kaufen uns zu den Hygienestandards der Zivilisation zurück. Ich versuche einem Elektronik-Pakistani zu erklären, dass ich wenig Vertrauen in «all original» habe, wenn Simens ohne «e» geschrieben wird. Der hagere Mann schüttelt den Kopf und verweist auf «best quality». Er hat ein Fußballtrikot aus den neunziger Jahren an. Laut Aufschrift vom FC Barcellona. Ich kaufe ein «e», klaue ein «l» und möchte lösen. Als ersten Preis nehme ich einen Stecker mit Nokia-Aufschrift mit. Weder Nokkia noch Nokya. Da hatte wohl ein Kind aus gutem Hause die Nachtschicht in der Fabrik. Selbstverständlich hat der Verkäufer gerade kein Wechselgeld.

    «5 neue Nachrichten», meldet mein Handy, wiederbelebt von der Steckdose in der Schnarcherstube. Der Brustpelz-Pedro ratzt noch immer und lässt sich auch von meinem überraschten «Was?» nicht stören. Wieso denn fünf SMS? Diese Spanier sind aber auch wirklich impulsiv. Ich scrolle durch meinen Posteingang.
    20:22 Uhr: «Hahahaha, großer Sport! Gruß, Domi.» Hä?
    20:31 Uhr: «Hi Max! Dominik hat grad erzählt, du bist in Spanien und badest in Tomaten? LG Caty.» Woher wissen die das?
    20:34 Uhr: «Hallo Max, Oma hat uns etwas von einer Tomatenschlacht in Spanien erzählt? Also, Papa hat noch mal mit Eckhard gesprochen, das Angebot mit der Banklehre steht noch. Überlege es dir mal, liebe Grüße, Mama». Nä! Haben die Schweine meine Blamage doch gezeigt!
    21:05 Uhr: «Kann man das eigentlich noch irgendwo sehen? Domi». Auf gar keinen Fall! Das ist der einzige Vorteil der News : Man hat große Chancen, dass man an seinem kompletten Umfeld vorbeisendet und die das nie zu sehen bekommen.
    21:07 Uhr: «Ah, nee, ist okay, habs bei Youtube gefunden». Die wollen mich doch verarschen?
    Ich renne zum großen Computer vor der Hostelcafeteria und warte nervös, bis zwei Engländerinnen bei Facebook geschätzte zwanzig Fotos des Vorabends mit «sooooo cute XD XD» oder «Fiestaaaaa! ;)» kommentiert haben. Irgendwo hat neulich eine Pädagogin behauptet, dass Jugendliche durch Internet und SMS endlich wieder mehr Schreibkompetenz erlangen. Soooo cute.
    Vor meinen Augen sehe ich schon die BILD -Überschrift «Doof-Reporter im Tomatenschlamm – DAS VIDEO!», als ich den Browser ängstlich öffne. Auf Deutschlands Bürofluren heißt es zur Stunde wohl: «Hast du schon den Typen gesehen, den es bei der Tomatenschlacht hinlegt? Muss dir gleich mal den Link schicken.» Bitte lass wenigstens Raabs Sichter gestern dienstfrei gehabt haben.
    Ich bin halbwegs erleichtert, dass «German TV reporter knocked out» nur 342 Klicks bei Youtube hat. Und dass die Szene endet, bevor der Australier kotzt. Hochgeladen wurde der Clip von flottebiene_78. Kurz überlege ich, ob sich hinter diesem Usernamen Klaus Thomann verbirgt, aber der ist älter. Es kann nur eine geben. Bitte, liebe Promimagazin-Bienen, schwirrt einmal kurz in die News -Redaktion und knockt diese widerwärtige Sabine mit einem Stöckelschuh aus. Sie gibt sich fälschlicherweise als eine von euch aus! Und auch noch als flotte!
    Überhaupt ist dieser Benutzername eklig. Und nicht nur, weil er häufiger und langweiliger ist als ein Bienenkostüm im Kölner Karneval. Es ist vor allem der Widerspruch in sich, vom Unterstrich zusammengehalten: flottebiene. 78. Diese Bestandteile sind einfach nicht kongruent. Ich kann mich ja auch nicht weiserdenker_98 nennen. Und ich meine damit nicht, dass es keine attraktiven Frauen jenseits der 30 gibt. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es keine attraktiven Frauen jenseits der 30 gibt, die sich flottebiene nennen. Wer im Brigitte -Alter ist, aber noch den